Sandor Marai
einen Stuhl zum Fenster schiebt, wollüstig lächelnd,
als würde er ihr ein intimes Geheimnis ins Ohr flüstern, und bewegt sich in
den außergewöhnlichen Luftverhältnissen wie zu Hause. »Türkische Bäder sind
auch so heiß.«
Die beiden
sarazenenbraunen, glut- und tieräugigen jungen Stubenmädchen, die der
Porzellanfabrikant
hartnäckig scherzend »Eingeborene« nennt, verteilen unter der
augenbrauenzuckenden Aufsicht des einstigen Stewards den schwarzen Kaffee. Die
griechische Familie, besonders ihre weiblichen Mitglieder, leiden
besorgniserregend unter der Hitze. In gebrochenem Deutsch erörtert das
Familienoberhaupt, ein krankhaft fettleibiger Tierarzt aus Piräus, die Frage,
welche Vorteile heißer Kaffee und heißer Tee bei großer Hitze bieten, auch aus
ärztlicher Sicht.
Ein
ungarischer Herr, der von seinen Bekannten nur vage »Herr Abgeordneter« genannt
wird, ergänzt diese international anerkannten und gewürdigten Erfahrungen mit
einem Lob des heißen Bades. Für Augenblicke scheint es, als hätte die
Hitzewelle allen den Verstand geraubt: in die gelähmte Stille bricht Lärm,
unbändiges und nervöses Gelächter, das einfältige Gewirr von Tiraden
verschiedener Sprachen. Dann, fast ohne Übergang, erschöpftes Verstummen.
Jetzt
erscheinen die bulgarischen Flitterwöchner, der Rechtsanwalt aus Varna und
seine Frau, die, mit der Andacht einer Brautjungfer, eine gelbe Margerite in
ihrem rabenschwarzen Haar trägt; das Paar hält sich eng umschlungen, als stünde
das baldige Versinken der Terrasse zu befürchten, und sie wollten auch im Tode
nicht auseinandergerissen werden.
Der
Offizier aus Mostar, der vormittags mit einem gemieteten Pferd am Meeresufer
auf und ab reitet, tut nun mit der entwaffnenden Hartnäckigkeit
seines Standes zur Bereicherung seiner Mitmenschen in singendem,
bedeutungsvollem Tonfall die seltsame Beobachtung kund, er spüre bei solch
außergewöhnlicher Hitze einen »herben, leicht bitteren Geschmack« im Mund. Als
würde er ständig »Lakritzen lutschen«, setzt er mit naiver Gewissenhaftigkeit
hinzu.
Hie und da
tritt jemand an die steinerne Brüstung und späht zum Horizont, als hoffte er
auf Hilfe. Die südlichen Basteien der Stadt treten undeutlich aus dem warmen
dünnen Dunstschleier hervor: dampfende gelbe Steinhaufen. Die ältere englische
Dame – vielleicht die einzige, die auch in dieser Stunde der Prüfung so
untadelig gekleidet, diszipliniert und ungerührt ist, als wäre hier keine Rede
von Gefahr und Heimsuchung durch die Kräfte der Natur – tritt neben die
Brüstung und nimmt die Webereien in Augenschein. Auch die Stimme des
Porzellanfabrikanten ist von seinem Platz in der Mitte der Gruppe aus zeitweise
zu hören. Aus sicherer Position schmäht er die heimische Volkskunst mit lauten
Worten und warnt jeden, der von »denen« etwas zu kaufen gedenkt. »Lauter
Piraten und Franktireure«, sagt er und meint den Straßenhändler, ihn und die
Angehörigen seiner Volksgruppe, die diese wildromantisch pathetische und
trotzdem eintönige Landschaft bevölkern.
Der
protestantische Geistliche, der in seiner unvollständigen hellen
Sommerbekleidung jetzt den Eindruck eines Abgefallenen macht, läßt mit der bedrückenden
Informiertheit eines Missionars einige fachkundige
Bemerkungen über die Volksbräuche der »aussterbenden Balkanrasse« fallen.
Der
ungarische Herr, der sich inzwischen bemüht hat, auch die kroatische Dame von
der unschätzbar kühlenden Wirkung des heißen Bades zu überzeugen, öffnet eine
Zeitung seines Heimatlandes, doch er liest nicht, sondern fächelt sich damit.
Ein
unrasierter binokeltragender Herr mit beginnender Glatze, der dank seiner
bleichen Gesichtsfarbe an einen Herzkranken erinnert, verlangt von der
Bedienung ein Glas eiskaltes Wasser. Er ist vor einigen Tagen allein
angekommen, hat jedoch bis jetzt so wenig Aufsehen erregt, daß selbst das
neugierige Volk des Argentina nicht über seine Nationalität Bescheid
weiß. Das »eiskalt« wiederholt er mit zitternder Stimme und gereiztem Nachdruck,
als würde er schon mit seinen Medikamenten klappern.
Der
protestantische Geistliche, der, im Begriff zu gehen, die Bitte mit halbem Ohr
gehört hat, wendet sich dem Fremden freundlich zu und bemerkt, abermals mit
dem praktischen Wohlwollen eines Missionars, der in dieser barbarischen
Umgebung für jedes körperliche und seelische Leiden ein Heilmittel weiß: »Jetzt
kaltes Wasser trinken, ist das Schlimmste, was Sie tun können.«
Er sagt
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