Sandra und die Stimme der Fremden
Durchschrift des Lieferscheines und prüfte die darauf vermerkten Angaben. „Die Anschrift stimmt“, stellte sie fest. „Und soviel ich weiß, gibt es in der Föhren-Allee auch keine zweite Frau Marie-Loise Arnold.“
Sandra beugte sich über den Arm ihrer Großmutter und blickte auf den Lieferschein. „Wann wurde die Bestellung aufgegeben?“
Ihre Großmutter suchte das Datum. „Vor vier Tagen. Telefonisch. Hier steht: ,4 Rollen à 25 m laut telefonischer Bestellung.’ Ich rufe die Firma an.“
Sie verließ die Küche mit dem Lieferschein der Firma Mathias Scheuer. Als sie zurückkehrte, schüttelte sie den Kopf. „Das Mädchen in der Vermittlung sagt, das Versandbüro sei geschlossen. Samstags ist nur das Geschäft geöffnet.“
„Ich habe mir gerade etwas überlegt, Oma“, sagte Sandra. „Vor vier Tagen war Mittwoch. Da waren Joschi und ich nachmittags hier und haben Birnen gepflückt. Das war doch der Tag, an dem Herr Seibold den furchtbaren Krach machte, als er entdeckte, daß Frau Arnolds Enten dabei waren, seine jungen Erdbeerpflanzen auszureißen. Sie waren durch ein Loch unter dem Zaun, das die Hunde gescharrt hatten, in euren Garten geraten. Herr Seibold hatte die Pflanzen am Morgen erst aus der Gärtnerei geholt und gesetzt.“
„Ja und?“ fragte Frau Ansbach, die nicht wußte, worauf Sandra hinauswollte.
„Herr Seibold hat ganz furchtbar getobt und die Katzen-Marie angeschrien, wenn sie nicht endlich ihre verdammten Viecher aus seinem Garten heraushalte, würde er sie abknallen.“
„Das hat Herr Seibold nicht ernst gemeint. Er war eben außer sich. Du weißt doch, wie er poltert, wenn er sich aufregt.“
„Klar weiß ich das. Aber die Katzen-Marie wurde kreideweiß im Gesicht. Vielleicht hat sie die Drohung ernst genommen. Sie hängt an ihren Tieren. Und vielleicht ist sie in ihrer Panik zum Telefon gelaufen und hat den Draht bestellt, um einen neuen Zaun zu ziehen.“
„Der Draht allein nützt ja nichts“, sagte die Großmutter. „Man müßte einen Zementsockel in die Erde mauern und darauf den Drahtzaun anbringen. So wie der Zaun jetzt ist, wühlen die Tiere sich immer wieder unter dem Draht hindurch.“
„Vielleicht hat Frau Arnold das nicht bedacht“, meinte Joschi.
„Aber weshalb will sie jetzt von der Drahtbestellung nichts mehr wissen?“ fragte Frau Ansbach.
„Weil sie sich inzwischen überlegt hat, daß sie eine Dummheit beging. Du hast doch selbst gesagt, Oma, daß Frau Arnold das nicht bezahlen könne. Was kosten die vier Rollen Draht?“ fragte Sandra.
Die Großmutter sah auf dem Lieferschein nach. „Zweihundertachtundneunzig Mark siebzig.“
„Puh...!“ machte Sandra. „Ganz schön happig für jemand, der nur eine kleine Rente bezieht. Jetzt wird mir auch klar, weshalb sie mich so entsetzt ansah, als ich ihr von der Lieferung berichtete.“
„Ich rede mit ihr. Vielleicht kann ich Herrn Seibold dazu bewegen, die Hälfte der Kosten zu übernehmen. Der alte Zaun ist sowieso erneuerungsbedürftig. Aber dann müssen wir endlich ganze Arbeit machen und den Zaun einzementieren. Geh hinüber und bestelle Frau Arnold, deine Großmutter sei unterwegs zu ihr“, sagte Frau Ansbach energisch.
„Kommst du mit, Joschi?“ fragte Sandra.
„Was soll ich dabei? Ich pflücke besser die restlichen Birnen, wenn wir doch noch nicht heimfahren“, entschied Joschi.
Die Katzen-Marie saß an ihrem Küchentisch und vesperte, als Sandra durch die Hintertür eintrat.
Vor ihr standen eine große Kaffeetasse und eine Milchkanne. Ein Laib Roggenbrot lag auf der blanken Tischplatte. Eine Schüssel voll Quark und ein großer Topf selbstgemachte Marmelade vervollständigten die Mahlzeit.
Wann immer Sandra die Katzen-Marie beim Essen antraf, saß sie vor Quark und selbstgekochter Marmelade. Lange Zeit hatte Sandra sich darüber gewundert, wieso die Katzen-Marie bei dieser gesunden Kost so dick werden konnte. Bis sie dahinterkam, daß es an der Marmelade liegen mußte. Frau Arnold aß sie mit einem Löffel aus dem Topf.
„Setz dich, Sandra. Magst du ein Marmeladenbrot mit Quark?“ fragte die Katzen-Marie freundlich. Ihre Meinungsverschiedenheit wegen der Lieferung schien sie vergessen zu haben.
Sandra blieb an der Tür stehen. „Meine Großmutter möchte mit Ihnen sprechen, Frau Arnold“, sagte sie. „Kann ich ihr aufmachen?“
Es schien der Katzen-Marie unangenehm zu sein, Frau Ansbach in ihrem Haus zu empfangen. Sie schob unschlüssig ihre Tasse auf der Tischplatte
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