Amnion 2: Verbotenes Wissen
ANGUS
Milos Taverner strich stöhnend mit der Hand über seine fleckige Schädeldecke, als wollte er sich davon überzeugen, daß er den Rest seines Haars noch hatte, während er eine neue Nik anzündete. Dann senkte er den Blick auf die Festkopie des Vernehmungsprotokolls, die auf seinem Schreibtisch lag, und versuchte sich einen Ansatz zu überlegen, der sich bewähren könnte, ohne soviel Schwierigkeiten auszulösen, daß die Personen, die zufriedenzustellen man ihn bezahlte, sich gegen ihn wandten.
Er trug die Verantwortung für das fortdauernde Verhör Angus Thermopyles.
Es lief nicht allzu gut.
Darüber freuten sich einige Leute, während andere darum in Rage gerieten.
Angus’ Verurteilung hatte sich dank der Art und Weise, wie man solche Verfahren abwickelte, ziemlich reibungslos vornehmen lassen. Der Sicherheitsdienst der KombiMontan-Station hatte entwendete Vorräte entdeckt. Die Durchsuchung der Strahlenden Schönheit, Angus’ Raumschiff, bei der man die Vorräte gefunden hatte, war juristisch hinlänglich abgedeckt gewesen. Mit einer Anzahl ärgerlicher Ausnahmen vager Natur stützte das aus dem Data-Nukleus des Raumschiffs gemolkene Beweismaterial die gegen ihn eingereichte Anklage; jedenfalls ihre weniger schwerwiegenden Anschuldigungen. Anscheinend weil er um die Aussichtslosigkeit wußte, hatte er auf jede Verteidigung verzichtet. Alles vollzog sich korrekt und ordnungsgemäß; man befand Angus Thermopyle als im Sinne der Anklage schuldig.
Andererseits hatte man trotz dramatischer Gerüchte um Zonenimplantate, Vergewaltigung, Mord und die Vernichtung des VMKP-Zerstörers Stellar Regent keinerlei Beweise aufspüren können, die es erlaubt hätten, ihn wegen eines ernsteren Delikts als der Entwendung von Stationsvorräten zu verurteilen. Das Urteil lautete auf lebenslängliche Haft im Gefängnis der KombiMontan-Station; doch man konnte das Gesetz nicht so weit beugen, um ein Todesurteil zu fällen.
Das Gericht schloß den Fall ab.
Dagegen hatte der Stationssicherheitsdienst keineswegs die Absicht, es dabei bewenden zu lassen.
Milos Taverner hatte in dieser Hinsicht gemischte Gefühle. Er mußte zu viele Prioritäten, die einander widersprachen, in Einklang bringen.
Als Stellvertretender Sicherheitsdienstleiter der KombiMontan-Station fielen Verhöre in seine Zuständigkeit. Es stimmte, man hatte die gegen Angus Thermopyle erhobenen Beschuldigungen mit ausreichendem Beweismaterial untermauert; ebenso jedoch stimmte es, daß die Beweise keine weitergehende Anklage rechtfertigten. Aber der Sicherheitsdienst kannte Angus seit langem. Sein Piratentum galt als zwar nicht nachweisbare, jedoch moralisch-faktische Gewißheit; seine geschäftlichen Beziehungen zu Illegalen jeder Couleur, von Drogenbaronen über Psychotikern bis hin zur Weltraumerz-Schattenwirtschaft in all ihren Tarnungen, blieben im dunkeln, standen allerdings außer Frage. Seine Besatzungsmitglieder hatten eine betrübliche Tendenz zu spurlosem Verschwinden. Außerdem erachtete man die unaufgeklärte Kette von Ereignissen, die dazu geführt hatte, daß Angus in Begleitung einer VMK-Polizistin, die eigentlich an Bord der Stellar Regent hätte in den Tod gegangen sein müssen, zur KombiMontan-Station zurückkehrte, als zutiefst rätselhaft, gar nicht davon zu reden, daß derartige Vorgänge Anlaß zur Betroffenheit boten.
Alles in allem besehen, konnte Milos die Richtigkeit der Entscheidung, Angus Thermopyle in der Mangel zu behalten, bis er nach- oder den Geist aufgab, nicht anzweifeln.
Dennoch legte der Stellvertretende Sicherheitsdienstleiter wenig Wert auf die Ehre, mit diesem Auftrag betraut zu sein. Dafür hatte er eine ganze Reihe von Gründen.
Als ein persönlich wählerischer Mensch empfand er Angus als abstoßend. Soviel irgendwer wußte, verkörperte die Nikotinabhängigkeit Milos’ einziges Laster. Selbst Leute, auf deren Wohlwollen er keine Rücksicht nahm, mußten ihm Sauberkeit, Umsichtigkeit und Korrektheit in seinen gesamten Verfahrensweisen einräumen. Und kein geistig normaler Augenzeuge hätte diese Tugenden auch Angus zugesprochen.
Mehr als allem anderen ähnelte Angus einer von Bösartigkeit aufgedunsenen Kröte. Er hatte bezüglich seines Körpers widerwärtige Angewohnheiten: Ausschließlich wenn die Aufseher ihn zum Betreten der Hygienezelle zwangen, duschte er, und nur bei unter die Nase gehaltenem Stunnerknüppel zog er eine frische Gefängniskluft an. Deshalb und aufgrund seiner heftigen
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