Sanft berührt – und schon verführt?
Olivia merkte erst jetzt, wie hungrig sie war. Vor lauter Aufregung hatte sie den ganzen Tag nichts essen können. Daher entschied sie sich, Kierans Einladung zum Essen nicht auszuschlagen.
Sie setzten sich und aßen schweigend. Kieran musste sich eingestehen, dass er sich im Laufe ihres Streits von dem eigentlichen Thema hatte abbringen lassen. Er hatte herausfinden wollen, warum Olivia ihm die Existenz seiner Tochter verheimlicht hatte. Stattdessen hatte er sein eigenes Verhalten rechtfertigen müssen. So kam er nicht weiter.
Nachdem er das Melonensorbet gekostet hatte, tupfte er sich den Mund ab und lehnte sich zurück. „Vielleicht habe ich mich ja wirklich wie ein Schwein benommen“, sagte er vollkommen unverblümt. „Aber das erklärt nicht, warum du mir verschwiegen hast, dass ich eine Tochter habe. Also?“
2. KAPITEL
Olivia hätte sich beinahe an den Mandelsplittern verschluckt, mit denen das Sorbet dekoriert war. Sie räusperte sich und hob ihr Wasserglas. Die Wolffs hatten viel mehr Macht als selbst ihre weltberühmten Eltern. Wenn die Wahrheit ans Licht käme, hätte sie gegen den Familienklan keine Chance und würde Cammie verlieren. Das konnte sie auf keinen Fall zulassen. „Es ist nicht deine Tochter“, sagte sie ruhig, aber bestimmt. Kierans lahme Erklärungen hatten nichts an ihrer Entschlossenheit geändert. „Es ist meine.“
Kieran kochte vor Wut. Wie konnte sie es wagen, sich seinen Wünschen gegenüber einfach taub zu stellen? „Wenn es sein muss, schließe ich dich hier ein“, stieß er drohend hervor.
„Und was soll das ändern?“ Ihr Handy klingelte, und sie stand auf. „Entschuldige mal eben.“ Sie ging ans andere Ende des Raumes und drehte Kieran den Rücken zu. „Hallo, Schätzchen! Wo bist du? In New York?“ Nach einem kurzen Gespräch mit Cammie kam Olivias Mutter ans Telefon, die versprach, dafür zu sorgen, dass das Kind auf dem Überseeflug schlief. Denn obgleich die Kleine schon ein paarmal über den Atlantik geflogen war, fand sie es immer noch sehr aufregend.
Als sie das Handy zuklappte und sich wieder umdrehte, sah Kieran sie lauernd an. „Ich dachte, sie sei in Europa.“
„Sie fliegt nach Europa.“
„Wo war sie dann, als ich heute Vormittag bei dir war?“
„Bei einer Nachbarin.“
„Du hast mich belogen!“
„Aber, Kieran! Was hättest du denn getan, wenn ich dir gesagt hätte, wo sie ist? Wärst du schreiend durch den Garten gelaufen und hättest nach ihr gerufen? Dadurch hättest du sie nur fürchterlich verschreckt. Meine Tochter ist mit ihren Großeltern auf Reisen. Mehr brauchst du nicht zu wissen.“
„Wann kommen sie zurück?“
„In einer Woche, vielleicht auch erst in zehn Tagen. Meine Mutter legt sich ungern fest.“
Kieran durchbohrte sie mit den Blicken. „Gib zu, dass sie meine Tochter ist!“
Innerlich zuckte Olivia zusammen, aber sie bewahrte Haltung. „Ach, geh doch zum Teufel, Kieran Wolff!“
Abrupt stand er auf, ging zur Minibar und goss sich einen Scotch ein. Als er den Kopf in den Nacken warf und den Drink herunterstürzte, konnte Olivia den Blick nicht von ihm abwenden. Dieser kräftige Hals, der in den muskulösen Brustkorb überging, von dem einiges wegen des großzügig geöffneten Hemdkragens zu sehen war … Wie oft hatte sie den Kopf darauf gelegt, erschöpft und befriedigt … Gewaltsam zwang sie sich in die Gegenwart zurück.
„Du hast ja noch nicht einmal ein Haus“, sagte sie, ohne nachzudenken.
„Was?“
„Ein Haus“, wiederholte sie. „Die meisten Leute, die eine Familie gründen wollen, kaufen sich ein Haus oder haben zumindest irgendwo ein Zuhause. Aber du reist unaufhörlich durch die Weltgeschichte. Wovor hast du Angst? Dass du irgendwo sesshaft werden könntest?“
Getroffen. Sie hatte geraten, aber daran, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte, konnte sie sehen, dass sie einen wunden Punkt berührt hatte.
„Vielleicht“, gab er leise zu. „Meine Brüder flehen mich schon lange an, für eine längere Zeit nach Hause zu kommen. Aber ich weiß nicht, wie man das macht und ob ich es aushalte.“
„Dann solltest du wirklich wieder los. Nimm die nächste Maschine, und rette die Welt. Hier braucht dich keiner.“
„Du brauchst gar nicht so sarkastisch zu sein.“ Er musterte sie von oben bis unten, und seine Raubtieraugen funkelten, als habe er eine Beute vor sich.
„Ich bin nur realistisch“, gab sie zurück. „Selbst wenn du mein Kind gezeugt hättest, würde dich das noch
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