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Sara Linton 01 - Tote Augen

Sara Linton 01 - Tote Augen

Titel: Sara Linton 01 - Tote Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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sodass jede Sekunde wie eine Ewigkeit wirkte. Sie spürte Henrys starken Arm gegen ihre Brust schlagen, den Sicherheitsgurt in ihre Hüfte schneiden. Ihr Kopf schnellte zur Seite und krachte gegen die Tür, als das Auto ausscherte. Die Windschutzscheibe splitterte, als das Tier gegen das Glas prallte, dann auf das Autodach und schließlich auf den Kofferraumdeckel knallte. Erst als das Auto, nach einer Drehung um hundertachtzig Grad, schwankend zum Stehen kam, erreichten die Geräusche Judiths Ohr: das Krachen und doppelte Knallen, überlagert von einem schrillen Kreischen, das, wie sie jetzt erkannte, aus ihrem eigenen Mund kam. Anscheinend hatte sie einen Schock, denn Henry musste mehrmals » Judith! Judith!« schreien, bevor sie aufhörte zu kreischen.
    Henrys Hand umklammerte fest ihren Arm, was ihr einen Schmerz bis in die Schulter hinaufschickte. Sie strich ihm über den Handrücken und sagte: » Ich bin in Ordnung. Bin in Ordnung.« Die Brille saß ihr schief auf der Nase, sie sah nicht mehr scharf. Sie hielt sich die Finger an die rechte Kopfseite und spürte eine klebrige Feuchtigkeit. Als sie die Hand wegzog, sah sie Blut.
    » War vermutlich ein Reh oder …« Henry presste sich die Hand auf den Mund und ließ den Satz unvollendet. Er wirkte ruhig bis auf das verräterische Auf und Ab seines Brustkorbs, als er versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Der Aufprall hatte den Airbag aktiviert, ein feines, weißes Pulver bedeckte sein Gesicht.
    Ihr stockte der Atem, als sie nach vorn schaute. Blut war auf die Windschutzscheibe gespritzt wie ein plötzlicher, heftiger Regen.
    Henry stieß die Tür auf, stieg aber nicht aus. Judith nahm die Brille ab, um sich über die Augen zu wischen. Beide Gläser waren kaputt, der untere Teil der Bifokallinse rechts fehlte. Sie sah, dass die Brille zitterte, und merkte, dass das Zittern von ihren Händen kam. Henry stieg aus, und sie zwang sich, die Brille wieder aufzusetzen und ihm zu folgen.
    Das Geschöpf lag auf der Straße, die Beine bewegten sich. Judith schmerzte der Kopf, dort, wo sie ihn sich an der Tür angeschlagen hatte. Blut war ihr in die Augen gelaufen. Das war die einzige Erklärung, die sie hatte für die Tatsache, dass das Tier – mit Sicherheit ein Reh – allem Anschein nach die wohlgeformten, weißen Beine einer Frau hatte.
    » O Gott«, flüsterte Henry. » Es ist – Judith – es ist …«
    Hinter sich hörte Judith ein Auto. Reifen quietschten auf dem Asphalt. Türen gingen auf und wurden zugeknallt. Zwei Männer kamen auf der Straße zu ihnen, einer lief sofort weiter zu dem Tier.
    Er schrie: » Ruf die 9-1-1!« und kniete sich neben den Körper. Judith machte ein paar Schritte darauf zu, dann noch ein paar. Die Beine bewegten sich wieder – die perfekten Beine einer Frau. Sie war völlig nackt. Blutergüsse schwärzten die Innenseiten ihrer Schenkel – sehr dunkle Ergüsse. Alte Ergüsse. Ihre Beine waren mit getrocknetem Blut verkrustet. Ein burgunderfarbener Film schien ihren Torso zu bedecken, eine klaffende Wunde in der Seite zeigte weißen Knochen. Die Augen waren geschwollen, die Lippen schrundig und aufgeplatzt. Blut verklebte die dunklen Haare der Frau und breitete sich um ihren Kopf aus wie ein Heiligenschein.
    Judith ging noch näher hin, sie konnte nicht anders – plötzlich war sie Voyeur, nachdem sie ihr Leben lang höflich weggeschaut hatte. Glas knirschte unter ihren Sohlen, und die Frau riss in Panik die Augen auf. Sie starrte an Judith vorbei, ihr Blick hatte eine dumpfe Leblosigkeit. Ebenso plötzlich schlossen sich ihre Lider wieder, aber Judith konnte den Schauer nicht unterdrücken, der durch ihren Körper fuhr.
    » O Gott«, murmelte Henry fast so, als wäre es ein Gebet. Als Judith sich umdrehte, sah sie, dass ihr Mann sich die Hand auf die Brust drückte. Seine Knöchel waren weiß. Er starrte die Frau an und sah aus, als müsste er sich gleich übergeben. » Wie konnte das passieren?«, flüsterte er, und Entsetzen verzerrte sein Gesicht. » Wie, in Gottes Namen, konnte das passieren?«

ERSTER TAG

1 . Kapitel
    S ara Linton lehnte sich in ihrem Sessel zurück und murmelte ein leises » Ja, Mama« in ihr Handy. Kurz fragte sie sich, ob je wieder eine Zeit kommen würde, da sich das wieder normal anfühlte, es sie, wie früher, glücklich machte, mit ihrer Mutter zu telefonieren, und ihr nicht das Gefühl gab, es würde ihr ein Teil des Herzens aus der Brust gerissen.
    » Baby«, flötete Cathy, » du schaust auf dich selber,

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