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Sarum

Sarum

Titel: Sarum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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mahlen, die seit jeher in Gebrauch waren, und sie arbeitete geschickt an dem großen Webrahmen, auf dem das farbenprächtige Tuch in den Hütten neben der Düne gewebt wurde.
    Ihr Vater hatte sie etwas Latein gelehrt, das sie zwar sprechen, aber nicht lesen oder schreiben konnte. Und dies war alles, was sie an Erziehung genossen hatte.
    Aber nun hatte sie einen wichtigen Lebensabschnitt erreicht – sie fand es an der Zeit, sich einen Gemahl zu suchen. Drei Wochen vor ihrer Begegnung mit Porteus war sie nach ihrer Monatsregel allein zu einer kleinen Lichtung in den Wald gegangen. Dort, an einer dem Gott Sulis geweihten Quelle, hatte sie ihre Kleider abgelegt und sich sorgfältig gewaschen. Sie fröstelte in dem kalten Wasser, doch als sie ihr langes Haar und die festen Formen ihres Körpers prüfend betrachtete, war sie zufrieden mit sich.
    »Gut genug für jeden Mann«, sagte sie leise vor sich hin. Jetzt, das spürte sie, war es Zeit für ihre Wahl.
    Sie hatte zu niemandem über diesen privaten Ritus gesprochen, doch sogleich nach ihrer Rückkehr hatte sie begonnen, die Pferde zu zählen. Sie kannte seit ihrer frühen Kindheit eine Regel: Wenn ein Mädchen ab dem Beginn seiner Monatsblutung Pferde zählt, so wird der erste Mann, dem es nach dem hundertsten Pferd begegnet, ihr Bräutigam. Drei Wochen vergingen. In Sarum gab es nicht viele Pferde, aber von Zeit zu Zeit zogen welche vorbei. Am Abend vor Porteus’ Ankunft war sie bei neunundneunzig angelangt – und sein Pferd hatte sie gerade gesehen, ehe er selbst neben dem Stall auftauchte. Dieser war es also! Dies war Maeves Geheimnis, und deshalb sah sie Porteus so kühn und unverwandt an. Er ist hübsch, dachte sie, und jung. Sie sah sich schon Arm in Arm mit ihm. Aber wie sollte es jetzt, wo die Götter ihr ein Zeichen gegeben hatten, weitergehen? Wie würde er um sie werben? Darüber wußte die Fünfzehnjährige so gut wie nichts.
    In den folgenden Monaten vergrub Porteus sich in seiner Arbeit. Die Nachrichten aus Londinium waren widersprüchlich. Eine Untersuchungskommission war angekommen, um das Vorgehen des Statthalters zu prüfen, und sie war anscheinend auf seiten des Prokurators. Doch dann reiste sie ab, und man hörte nichts mehr. Dreimal schrieb Porteus an Lydia und einmal an Marcus, erhielt jedoch keine Antwort. Seinem Vater berichtete er:
    Sorviodunum ist ein sehr stiller Ort. Es gibt niemanden außer dem Stammesfürsten, der ein bißchen Latein spricht, und seine Tochter kann es so gut wie gar nicht sprechen. Die kaiserlichen Ländereien sind fast unübersehbar und müssen entsprechend verwaltet werden. Damit werde ich wohl einige Monate beschäftigt sein.
    Das Land war verwahrlost. Der Assistent des Prokurators, der es bisher hätte verwalten sollen, war in der Nähe von Glevum beschäftigt, und abgesehen von sporadischen Besuchen hatte er in den ganzen Jahren nichts getan, um das Land ertragreich zu machen. Porteus erkannte rasch, daß mit wenig Aufwand der Gewinn verdoppelt werden konnte; so machte er sich an die Arbeit. Wenn es ihm gelang, den Prokurator zu überzeugen und die Einkünfte des Kaisers zu vergrößern, würde er selbst vielleicht wieder Gnade finden.
    Er arbeitete hart und gezielt, begutachtete jedes Feld, ordnete die Ausbesserung von Gräben, die Wiederherstellung von Viehhürden, den Bau von Getreidespeichern an. Er arbeitete von Morgengrauen bis in die Nacht hinein.
    Jede Nacht träumte er auf seinem einfachen Lager in der öden Hütte von seiner ehrenvollen Rückkehr nach Rom. Und er träumte von Lydia. Nach dem ersten Monat sandte er Classicianus einen knappen Bericht über seine Maßnahmen. Dieser wurde von einem Beamten im Amt des Prokurators entgegengenommen. Mehr geschah nicht, öfters sah er das rothaarige Mädchen an der Siedlung vorübergehen oder mit wehendem Haar auf einem Rassepferd über die Hügelkämme reiten. Gelegentlich sandte ihm der Stammesfürst Geschenke, Wildbret, und einmal auch eine schöne Decke. Doch Porteus war zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, um an das Mädchen oder dessen Vater zu denken.
    Am Abend des großen Festes von Samhain, was zu Beginn des Novembers gefeiert wurde, lud Tosutigus den jungen Römer in sein Haus. Da dieser den Gastgeber nicht beleidigen wollte, nahm er die Einladung an.
    Es war schon dunkel, als er die aus Weiden geflochtene Umfriedung von Tosutigus’ Haus betrat. Dabei wurde ihm bewußt, daß er nach all den Monaten angestrengter Arbeit zum erstenmal

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