Sascha - Das Ende der Unschuld
muss trotzdem noch mal nach Hause. Ich möchte mir da eine Decke holen und ein Kissen, der Mief von der Matratze ist schrecklich.“
„Ach, du meine Fresse. Der kleine Prinz – kann einfach nicht auf der Erbse schlafen. Du bist ganz schön verwöhnt. Eins kann ich dir gleich sagen ... solche Empfindlichkeiten kannst du dir auf der Straße abschminken. Entweder Hiebe von deinem Alten und weiß bezogene Kissen oder frei sein und das bisschen Dreck. Sei froh, dass du nicht draußen am Rhein schlafen musst.“
„Aber ich kann mir doch zu Hause eine Decke holen, das tut doch keinem weh.“
„Und wenn sie dich schnappen?“
Sascha schaute vor sich auf den Boden. Er fühlte sich wie in einem bösen Traum, aus dem er einfach nicht erwachen konnte. Eigentlich war ihm beides ein Gräuel – ein Stricher sein konnte er nicht und nach Hause gehen wollte er nicht. Ein Zwischending gab es jedoch nicht für ihn, er musste sich wohl oder übel für eine Möglichkeit entscheiden.
„Vielleicht hast du Recht und ich bin zu zimperlich. Es ist eben alles neu und ich kann nicht einfach so tun, als wenn es mir nichts ausmacht.“
„Danach hat man mich auch nicht gefragt. Noch nie.“
Sascha dachte kurz nach, dann fuhr er scheinbar leichthin fort:
„Ich weiß. Ich werde versuchen, mich mit all dem abzufinden. Und wenn ich Geld verdiene, kann ich mir eine Decke kaufen. Okay?“
„Wenn du Geld verdienst. Ja, wenn. Na, wir werden sehen – willst du einen Kaffee?“
Damit war das Thema augenscheinlich erst einmal vom Tisch und Marc setzte in einem verbeulten Topf Wasser auf, um mit der letzten, vorhandenen Filtertüte Kaffee zu machen. Zucker oder Milch gab es nicht, deshalb schlürften sie das bittere Gebräu aus den abgestoßenen, großen Keramiktassen schwarz. Es war wenigstens warm und Sascha begann, sogar für solche, bisher nicht beachtete Alltäglichkeiten dankbar zu sein. Irgendwie war er eben doch schon auf dem Weg zu akzeptieren, dass dieses Leben der Preis für die von ihm gewählte Selbstbestimmung war.
Sie gingen zum Bahnhof wie jeden Tag. Marc begann ganz von allein, die Interessenten für Sascha abzuwehren. Er ahnte, dass Sascha nicht wirklich bereit war und hatte das Gefühl, ihn beschützen zu müssen. Er empfand viel für seinen Freund und bemühte sich ständig, dies nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Statt Sascha bot er sich selbst an, was nicht immer auf die Gegenliebe der Freier stieß. Schließlich war der Unterschied zwischen dem feingliedrigen, kindlich schüchternen Sascha und seinem kompakten, respektlosen Freund beträchtlich. Trotzdem hatte Marc an diesem Tag vier Freier hintereinander und kam nach dem letzten ziemlich abgeschlafft wieder an. Er war fast den ganzen Tag unterwegs gewesen und drängte nun darauf, sich hinlegen zu können. Er sah reichlich mitgenommen aus. Sascha für seinen Teil mochte eigentlich noch nicht zurück in das Zimmer, aber das wollte er Marc nicht sagen. Schließlich hatte sein Freund für den gemeinsamen Lebensunterhalt der nächsten Tage gesorgt. Und so ging er mit. In einer Ecke des Zimmers stand eine große Kaufhallentüte, die Sascha erst gar nicht beachtete. Doch dann nahm Marc sie und warf sie ihm vor die Füße.
„Da – für dich, du Zimperliese. Damit du besser schlafen kannst.“
Sascha zog zwei Decken, ein Kissen und ein Handtuch aus der Tüte und musste schlucken. Marc hatte einen Teil des verdienten Geldes also dafür ausgegeben, ihm diese Sachen zu kaufen. Er versank in seinem schlechten Gewissen und wusste nicht, was er jetzt sagen oder tun sollte. Trotzdem begann er:
„Aber ...“
„Halt den Mund. Bedank dich bloß nicht. Ich habe dich schließlich hierher geholt. Ich bin dir das wohl schuldig. Jetzt komm, wir trinken noch ein Bier.“
Sie schoben die Matratzen zusammen und Sascha ertappte Marc dabei, dass er ihn merkwürdig ansah, als sie später nebeneinander lagen. Aber er wehrte sich nicht, als Marc ihn in den Arm nahm und sanft streichelte. Er hätte wahrscheinlich auch nichts gesagt, wenn Marcs Zärtlichkeiten eindeutiger geworden wären. Aber der Dreizehnjährige genoss nur Saschas Nähe und dieser war zu durcheinander, die neuen Erfahrungen sofort verarbeiten zu können.
✵
Es war zwei Tage später, als Sascha ein Erlebnis hatte, das ihn so schnell nicht mehr loslassen würde. Marc war in der Schule und Sascha versuchte, lange zu schlafen. Ohne seinen Freund traute er sich nicht aus dem Zimmer, ständig hatte er Angst vor der
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