Sascha - Das Ende der Unschuld
befürchtete, dann würde ihn der Schmerz von innen heraus auffressen. Sascha tot?
Mit den anderen wartete er auf Guido. Es dauerte noch eine dreiviertel Stunde, bis dieser durch die Tür kam. Fünfundvierzig Minuten, die Claus vorkamen wie eine ganze Ewigkeit.
Er starrte Guido entgegen, wie alle anderen es auch taten. Aber sein Blick war nicht neugierig, er hatte einfach nur Angst. Angst vor den Worten, die Guido jetzt vielleicht sagen würde. Aber Guido schwieg und wich allen fragenden Blicken aus. Er setzte sich an einen der Tische und starrte vor sich hin. Jemand brachte ihm etwas zu trinken, aber niemand wagte es, ihn anzusprechen.
Es war Claus, der sich schließlich von einem inneren Zwang getrieben Guido gegenüber setzte. Dieser sah auf und direkt in Claus’ Augen. Claus hielt es nicht mehr aus, er wollte die erlösenden Worte hören, die ihm diese Qual der Ungewissheit im positiven Sinn nahmen.
„Bitte, Guido, sagen Sie es mir. Es ist nicht Sascha, oder? So reden Sie doch.“
Im Moment, als Guido zu reden begann, liefen Tränen über sein Gesicht, es war plötzlich, als müsse er das Unfassbare für alle hörbar hinausschreien:
„Doch, es ist Sascha. Sascha ist tot... erfroren an der Außenmauer dieser dämlichen Kirche. Es hat Gott wohl wieder mal gefallen, eines seiner Kinder zu sich zu rufen. Verdammt, jeder hätte ihn sehen können, aber niemand hat sich für ihn interessiert. Er hatte nicht einmal einen Mantel an und die leere Flasche Whisky ist in seiner Hand festgefroren. Er hat sich einfach davongemacht, ist so gestorben, wie er gelebt hat – unbeachtet.“
Claus versuchte, den stechenden Schmerz in seiner Brust zu ignorieren und atmete tief durch. Im Moment wollte er nur eines wissen.
„Welche Kirche?“
„Trinitatis.“
Wie in Trance stand Claus auf, bezahlte und ging hinaus. Er lief durch die Altstadt, dann stand er an jenem Ort, an dem sie sich damals zu ersten Mal begegnet waren. Kleine Wölkchen seines Atems lösten sich von seinen Lippen, aber er spürte die Kälte nicht. Auch Sascha hatte sie nicht gespürt, er war genau an diesem Ort eingeschlafen und aus dieser Welt fortgegangen.
Claus erinnerte sich an Guidos Worte. Sascha hatte sich davongemacht – weg aus dem Leben, das für ihn außer Schmerz und Enttäuschung nichts bereitgehalten hatte. Er war nicht mehr bereit gewesen, es weiter zu ertragen. Es würde nie geklärt werden können, ob Absicht oder ein tragischer Unfall dahinter stand. Trotzdem fühlte Claus sich schuldig. Er war zu spät gekommen. Zu spät, um ein neues Leben zu beginnen und Sascha mitzunehmen in eine schönere, eine glücklichere Zeit. Und das würde ihn den Rest seines Lebens nicht mehr loslassen.
✵
Claus war erschüttert, als er nach und nach immer mehr Details aus Saschas Dasein erfuhr und bemerkte, dass er seinen jungen Freund zwar geliebt, aber niemals wirklich gekannt hatte.
Er war es, der die Beerdigung ausrichtete und dabei hatte er keine Kosten gescheut. Er glaubte, Sascha auf diese Weise im Tod etwas von der Würde wiedergeben zu müssen, die man ihm während seines Lebens genommen hatte.
In einem Meer von weißen Lilien stand der Sarg, und für Claus war nichts schlimmer, als dass Saschas Hoffnungen, seine Liebe, sein Leid mit ihm dort eingeschlossen bleiben würden. Er hatte er geschafft, Sarah Brightman und Andrea Bocelli zu engagieren, und als schließlich als letzter Gruss „Time To Say Goodbye“ erklang, weinten viele. Auf der Feier waren Leute zugegen, die Sascha während seines Lebens nicht eines Blickes gewürdigt hätten, wenn sie ihn gekannt hätten. Und es kamen angelockt durch die Presseberichte an diesem grauen Morgen wirklich viele Menschen nach Melaten. Menschen, die zu Saschas Lebzeiten in ihm nichts weiter gesehen hätten als einen einfältigen Stricher, der seinen hartem Weg schließlich ohne Zwang ganz allein gewählt hatte und für die er nur ein arbeitsscheuer Rumtreiber der Lost Generation, ein Asozialer und Versager war, der sein armseliges Leben selbst verschuldete.
Es waren Leute dort, die an ihm Geld verdient oder ihn für seine Dienste bezahlt hatten und ihm dabei seine Seele nahmen. Es gab nur wenige, die wirklich etwas für ihn empfunden hatten. Saschas Eltern, De Jong, Jimmy, Guido, viele Namenlose aus der Szene und sogar Stefanie – alle standen schließlich mit einem Ausdruck des Unverständnisses und der Trauer vor dem Grab. Auch die Presse war dort.
Man hatte recherchiert und Saschas
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