Sascha - Das Ende der Unschuld
brachte der Rektor ihn in seine Klasse und Sascha sah, dass die anderen ihn musterten, die Köpfe zusammensteckten, tuschelten und lachten. Er stand neben dem Lehrer vor der Klasse, fühlte sich wie ein seltenes Tier im Zoo und war froh, als er sich nach der Vorstellung endlich hinsetzen durfte. Er bekam einen Platz ziemlich weit hinten.
Neben ihm saß der dreizehnjährige Marc. Er war ein Junge, welcher auf eine deutliche Art und wohl absichtlich kauzig wirkte. Seinen stämmigen Körper umschlotterte viel zu weite Armeekleidung und sein von Natur aus wohl blondes, kurz geschorenes Haar zierte ein eingefärbtes Leopardenmuster. Sascha wollte eigentlich keinerlei Kontakt mit dem scheinbaren Klassenfreak, erst recht nicht als er erfuhr, dass Marc wie er aus dem Osten stammte.
Aber auch zu den anderen Kindern fand er an diesem ersten Tag keine Annäherung. Man ließ ihn genau wie Marc links liegen. Er fühlte beinahe körperlich den Spott, den sie für ihn bereithielten und mit dem sie ihre Neugier kompensierten. Nach Schulschluss kam es zur ersten Konfrontation. Sascha war im Begriff, den Schulhof zu verlassen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er drehte sich erstaunt um und sah sich Marc gegenüber.
„Ach, du bist es.“ Er gab seiner Stimme einen deutlich abwertenden Klang.
„Ja, ich. Wen hast du erwartet? Axel Rose? Was ist eigentlich mit dir los? Die ganze Zeit hast du nicht mit mir geredet, obwohl wir nebeneinander sitzen. Ein verblödetes Ja, ein dummes Nein, das war alles. Du hältst dich wohl für etwas Besseres.“
Sascha betrachtete Marcs abgefahrenes Äußeres und verzog geringschätzig das Gesicht.
„Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Du hältst dich wahrscheinlich für cool. Ich finde es ätzend, wie du aussiehst. Und nur, weil wir beide aus der DDR kommen, brauchen wir nicht unbedingt Freunde werden. Nimm das nicht persönlich. Ich will auch die anderen kennen lernen und wenn wir hier zusammen herumstehen, denken sie vielleicht, wir wollen mit ihnen nichts zu tun haben.“
„Wenn ich dir gleich die Fresse poliere, solltest du das dann auch nicht unbedingt persönlich nehmen. Was passt dir denn nicht an mir? Meine Haare? Die Klamotten? Ich will eben nicht rumlaufen wie die anderen Ärsche. Ich bin anders und will, dass man das gleich sieht. Anpassen tun sich schon genügend Leute. Außerdem siehst du mit Sicherheit schlimmer aus als ich. Dein Outfit wirkt, als hättest du es gerade eben von der Caritas bekommen. Wenig originell, Alter – echt.“
Sascha schwieg, also nahm Marc den Faden wieder auf.
„Du willst also den Wessis in den Arsch kriechen. Na, viel Glück, du wirst schon sehen, was du davon hast. Für die bist du doch nur der arme Ossi, mit so was kann man nicht befreundet sein, so was hält man sich höchstens als Haustier. Gewöhn’ dich schon mal dran ...“ Damit ließ Marc Sascha einfach stehen. Dieser schaute an sich herunter. Es stimmte, seine Sachen waren alles andere als modern. Die Stoffhose mit den ausgebeulten Knien wurde schon wieder etwas kurz, Sascha wuchs einfach zu schnell und war für sein Alter schon sehr groß.
Sein dicker, rostbrauner Pullover mit dem Schwedenmuster sah ebenfalls bereits ziemlich abgetragen aus. Es war kein Geld da und er nun einmal aus seinen Hosen herausgewachsen. Sascha zuckte die Schultern und machte sich auf den Nachhauseweg.
Dabei musste er an einer Gruppe Jugendlicher vorbei und erkannte unter ihnen einige aus seiner Klasse. Sein Herz klopfte heftig, er war schrecklich unsicher, trotzdem blieb er kurz stehen und versuchte ein überlegenes und doch freundliches Lächeln aufzusetzen. Er wollte so lässig wie nur möglich wirken. Damit schien er auch tatsächlich einen gewissen Erfolg zu haben, denn eines der Mädchen fragte ihn mit einem beinahe professionellen Augenaufschlag:
„Na, willst du mich nicht zum Eis einladen?“
Sascha wurde rot und dachte an die fünfzig Pfennige, die er in der Tasche hatte.
„Komm schon“, mischte sich einer der Jungs ein. „Du willst doch wohl nicht mit so einem gehen? Guck dir mal an, wie der aussieht. Dabei sagen meine Eltern, die Ossis kriegen so viel Geld geschenkt, dass sie sich gleich ein Haus kaufen können, wenn sie herkommen. Aber die sind ja bescheuert, die wollen auch hier noch weiter so kommunistisch bleiben wie sie drüben waren.“
Zu Sascha gewandt fuhr er hochmütig fort:
„Was ist, kennst du die Bücher von Marx und Engels auswendig? Wollt ihr bei uns jetzt
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