Satt Sauber Sicher
Tod. Er hat Recht. Er liegt auf seinem Bett und blutet aus diversen Körperöffnungen. Rotes Rinnen vertieft sich im weißen Laken und verkrustet. Ein Ganzkörperschmerz weht umher wie ein wilder, abgedrehter Nordseewind.
Draußen läuft Frau Tod um den Häuserblock. Ihre Schritte sind leise und zärtlich. Ihre Schönheit zieht sie hinter sich her. Wirkt wie ein Mensch, ganz normal, aufrechter Gang, keinerlei Unwirklichkeit, nur eine dünne Präsenz. Sie hinterlässt keine Spuren auf dem Asphalt. Ihr Gesicht besteht aus Kindlichkeit und Lächeln. Die grünen Augen wirken einzig krankhaft. Der Rest wie ein Mensch, der seiner Gewohnheit nachgeht, der zu einem Termin eilt wie alle, die immer irgendwohin müssen.
Mit dem Wissen dreißigjährig zu vergehen, ist Roland bekannt. Er weiß sich bald unterirdisch, zumindest seinen Leib. Er hat keine Vorstellung von der Seele, aber Angst. Anonyme Angst, die auf ihn wirkt wie lähmendes Gift. Eigentlich ist sein Geist hellwach, nur sein Körper allzu schwach. Aufstehen, hinlegen, umherlaufen, alles ist aus Schmerz gebaut. Sein Gehirn ist nicht mehr fähig, wichtige Selektionen zu betreiben. Essen und trinken: Vergiss es. So pur die Existenz der letzten zähen Zeiteinheiten. Sekundentropfen. Roland erinnert sich an Autofahrten im Regen. Er, das ewige Kind, saß hinten im Wagen und beobachtete, wie sich auf der Seitenscheibe neben seinem Kopf Regentropfen sammelten. So hat sich Roland früher schon das Zeitvergehen vorgestellt. Regentropfen, die nicht vom Himmel fallen wollen.
Roland schaut die Wände an, die ihn wie gute Freunde umgeben, um mit ihm diese Momente des Abschieds aus der Jetzt-Welt zu zelebrieren. Die Wände schauen zurück und als hoffnungsfrohe Botschaft stimmt man zusammen ein neues, endletztes Lied an. Das Lied beginnt ganz langsam, zaghaft, zögerlich, bis es zu einem Chor anschwillt, den die Wände durch den Raum reflektieren. Das Lied klingt in einer Deutlichkeit, die unbeschreiblich ist. Es klingt wie die Nationalhymne des Sterbens. Viva la muerte. Es lebe das Sterben.
... dort aus dem Dunkel Schauen zwei Augen Und ihr Blick Ist finster Und schön. Ich merk es genau, Doch kann es kaum glauben, Wir werden verwundet Durch das, was wir sehen ...
Tocotronic - Free Hospital
Das letzte Krankenhaus hat keine Fenster. Dieses Zimmer hat nur ein Bett und darin ist Roland Patient und Arzt zugleich. Seine einzige Therapie ist der Tod, das Dahinrotten seiner Reste. Menschenrestverwertung. Die Entwertung seiner Existenz bei den wahrgenommenen Resten seines Bewusstseins.
Bewusstsein. Bewusstsein. Alles ins Bewusstsein. Lass das Sterben Lust sein. Muss sein. Muss sein.
Roland erkennt die fallenden Sekunden als seine letzten. Zäh und zählbar treten die Zeiteinheiten in den Raum, dahinter ein noch völlig irrelevanter weiblicher Tod.
Das Zimmer. Der einstige Idealismus seiner Wohnkultur. Ein Designer hat sich hier ausgetobt. Bett und Schrank und all das. Farbe an die Wände. An jedem Pinselstrich klebte wohl irgendein Sinn. Das ist jetzt egal. So richtig wunderschön egal wie alles aussieht. Egal was war, egal was ist und dazwischen auch egal, was wird. Das meiste ist jetzt egal.
Sogar die Erinnerungen von der Zartheit der Küsse am Hals sind jetzt egal. In der Erinnerung daran liegt keine Relevanz mehr. Nichts liegt da mehr außer Rolands nervöser Geist in einem ausgezehrten Körper. Roland stirbt. Langsam, zerrissen, zitternd.
Er will einen bewussten Tod, vielleicht erkennt er dann den Grund seines vorzeitigen Ablebens durch diese widerliche Krankheit in ihm. Weil er einen bewussten Tod will, hat er alle Drogen und alle Medikamente weggeschmissen. Auch sein riesiges TV-Gerät hat Roland mit einem Hammer betriebsunfähig geschlagen. Es lief grad eine Familienserie, die ein Idyll präsentierte, das keiner kennt, das sich Monster ausgedacht haben, um alle Unangepassten scheitern zu lassen. Roland im Schmerz. Liegt auf dem Bett. Wieder klopft der Tod, etwas stürmischer als zuletzt.
Frau Tod dringt ein in Rolands Bewusstsein und spricht verheißungsvolle Worte des radikalen Wahnsinns. "Ja, Roland. Es ist so weit. Reiserücktritt ausgeschlossen. Habe hier schon mal den Lieferschein fertig gemacht. Die Lichter gehen aus. Peng." Roland, das Sterben, die eigene Vergänglichkeit vor Augen, erzittert innerlich, äußerlich zu sehen ist lediglich Widerstandslosigkeit wegen Kraftmangels. "Warum? Warum ich? Warum jetzt, in dieser Stunde? Ist nicht noch Zeit? Irgendwie
Weitere Kostenlose Bücher