Satt Sauber Sicher
Tränen, Erinnerungen und Wut. Die Arme umeinander, pressen sich die Körper aus. Hubert und Karla fallen beide in extremes Weinen. Die Tagesschau wurde von einer drittklassigen ARD-Eigenproduktion mit Senta Berger abgelöst. Das ist nicht relevant, aber trotzdem passiert. Minutenlang stehen die beiden Eheleute in der Mitte des Zimmers und zelebrieren ihre ungestüme Tränenflut. Die kommt einfach aus ihnen raus. Der Sohn ist tot. Der andere Sohn auch nicht vorhanden. Unser Leben ist so mies, so hinterfotzig gemein. Warum wir uns als Partner haben, wissen wir auch nicht. Vielleicht sind es solche Momente wie diese innige Umarmung, die die Linie zwischen Hubert und Karla als vorhanden erklären. Da schwingt auf jeden Fall Verständnis mit und auch ein Splitter Liebe. Es geht nicht anders. Der andere Mensch muss so lange festgehalten werden, bis man wieder allein denken und stehen kann. Das geht noch nicht. Bei beiden nicht. Aber beide haben einen Körper direkt vor sich, einen warmen, lebendigen Körper, in den mensch sich reinfallen lassen kann, wenn das Leben explodiert. Liebe, zumindest Splitter davon.
Zu Zeiten ihrer Paarwerdung waren Hubert und Karla ein ganzes Gebäude mit wunderschöner Fassade. Ein unumstürzliches Haus.
Jetzt stehen sie hier, zusammengepfercht vom Elend der Tränentrümmertage, und halten sich aneinander fest. Sie sind nunmehr zu einer billigen Absteige verkommen, einer abgelegenen Hütte ohne Heizung. Motel Suffer Well. Aber sie bestehen und sie fühlen das. Es wird ihnen, wenn der Schmerz vergangen ist, wieder egal sein, aber jetzt ist es schlicht relevant, dass die beiden zusammen sind. Sie stehen, weinen, bis ihnen die Tränen fehlen. Dann schlagen sie auf Gegenstände, bis ihnen die Hände schmerzen und endlose Warums? hallen in ihren Köpfen. Irgendwann lässt die Trauer nach, aber so lange ist man ein Paar, das sich festhält. Gegenseitigkeit, um den eigenen Schmerz zu teilen. Ob aus Liebe oder aus Hass oder einfach nur so, weil es alleine mehr wehtun würde, ist hier egal. So stehen sie da, laufen manchmal auf und ab, tätscheln sich die Hände, nur weil da Hände sind. Nennen das dann Trost, aber hier geht es nicht um eine Ehe, in der Liebe ausgetauscht wird. Es geht um Zweckmäßigkeiten und Dreckfressen.
Als sie nachts dann nicht mehr können und ihre Tränensäcke leergeweint sind und die Körper so schwach und müde werden, legen sich die beiden gemeinsam schlafen. Beide liegen auf dem Rücken, starren die Decke an. Darüber ein Himmel, das wissen beide, und darin ein Sohn, das Abbild ihrer seltsamen Liebe. Dann kommt ein gnädiger Schlaf, zuerst über den Mann, dem Gott einfach die Augen zumacht, um Ruhe einkehren zu lassen. Da ist dann auch Gedankenstillstand und wenig Traum. Karla ist noch wach. Steht auf. Geht in die Küche und trinkt ein Glas Wasser. Schaut aus dem Fenster. Irgendwo dahinten wird es hell. Da fackelt eine Hoffnung am Horizont. Dann geht sie nach der Wassereinnahme zurück ins Schlafzimmer und deckt sich zu. Hubert schläft. Ungerechtigkeit, denkt Karla tausendfach, bevor auch sie in alptraumhaftes Halbschlafen gerät.
Das Ehepaar schläft unruhig und wacht einigermaßen zusammengetreten auf. Da ist eine Trauer in beiden Körpern, die kräftiger an einem zieht als die Schwerkraft. Die einen zum Erliegen bringen will. Ein toter Sohn. Der andere Sohn, Gott weiß, wo der steckt. (O-Ton Gott: Keine Ahnung, wo der steckt, ich kontrolliere die Menschen nicht, dazu sind sie mir zu egal ...) Hubert wacht mit dem Bewusstsein auf, eine erniedrigte Kreatur zu sein. Auf dem Boden festgebunden fühlt er sich, und hätte er Flügel, sie schlügen, aber die Festgebundenheit ist stärker und ausdauernder. Huberts Körper hat sich über Nacht entschieden, die Flügel nicht mehr zu bewegen. Füg dich oder fick dich, das alte Spiel für alte Männer in Zwangszusammenführungen. Dieses ständige Schweben in Lebensgefahr ist Hubert auf die Dauer zu anstrengend, deswegen akzeptiert er lieber sein Siechtum. Das sind die Gesetze der Natur, denkt Hubert und dreht sich noch mal um. Hubert ist am Arsch und weiß es. Kein Gefühl des Widerstandes in ihm. Wozu auch? Das Leben plätschert sekündlich von ihm runter, die Sonne des Sieges scheint an ihm vorbei. Willkommen komatöses Restleben.
Anders Karla. Sie ist unruhig. Wäre er bloß weg der Mann. Dann könnte ein Leben beginnen. Sie wollte eigentlich Hubert vor einem ihrer Söhne beerdigen. Nun ist es andersrum. Karla denkt an all
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