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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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eigentlich wiedergekommen? dachte Yvonne, als sie den Stecker des Staubsaugers aus der Steckdose zog und mit einem leichten Druck des Fußes das Kabel zwang, sich schnell und rasselnd in seinem Versteck im hinteren Teil des Staubsaugers aufzurollen.
    Das Bild von Bernhard, wie er da mit schreckhaft aufgesperrten Augen im Gewimmel des Restaurants stand, hatte sich ihr eingeprägt.
    Als sie vom Seminar nach Hause gekommen war, hatte sie mit Jörgen gestritten. Sie hatte ihn gefragt, wo er in der Neujahrsnacht gewesen sei, und ihn wegen seiner Untreue in all den Jahren zur Rede gestellt. Jetzt erst hatte sie ihm Vorwürfe gemacht, geradeheraus und mit Kraft, nachdem sie jahrelang nur genörgelt oder die Augen verschlossen und geschwiegen hatte über das, was sie so gekränkt hatte.
    Als ob sie sich jetzt, wo sie selbst einen Seitensprung auf dem Gewissen hatte, reinwaschen wollte mit der empörten Wut, die sie schon vor langer Zeit hätte verspüren müssen.
    Er hatte mit Ausflüchten geantwortet. Keine Erklärungen, keine Verteidigung, keine Gegenvorwürfe. Er hatte sie nur mit Verachtung und Gleichgültigkeit angeschaut und gesagt, er wäre sie leid. Daß er sie nicht mehr sehen und hören könne. Und dann war er gegangen, war zwei Tage weggeblieben, um dann zurückzukommen, als ob nichts passiert wäre. Manche Nächte schlief er in ihrem Doppelbett, manche woanders, sie wußte nicht wo. Bei einer Frau vermutlich. Aber er wollte nicht darüber reden.
    Sie arbeitete hart bei »Deine Zeit«. Bemühte sich um neue Kontakte, schob neue Projekte an, beschäftigte sich mit Dingen, die sie früher andere hatte machen lassen, ohne sich einzumischen. Sie hatte viele Ideen, schlug Verbesserungen vor, und war, das fand sie selbst eines Tages, eine wahre Nervensäge für ihre Kolleginnen, die ohne sie vermutlich besser zurechtkamen. Sie ertappte sich manchmal dabei, daß sie sich nach den klaren, handgreiflichen Hausarbeiten im Orchideenweg 9 sehnte.
    Wenn sie abends ihr graphitgraues Kostüm auf den Bügel gehängt hatte und in das leere Doppelbett gekrochen war, fror sie und fühlte sich einsam. Dann passierte es, daß sie sich, weil ihr wacher Verstand immer ein paar Sekunden eher einschlief als die von Gefühlen gesteuerten Gedanken, daß sie sich einen kurzen Augenblick lang deutlich an Bernhards Körper auf ihrem erinnerte, seine Hände auf ihrem Hintern und seine gleichsam suchenden zeitlupenhaften Bewegungen in ihrem Schoß. Eine Liebe mit Widerstand. Wie wenn man unter Wasser schwimmt, dachte sie, ehe die letzten Reste von Bewußtsein vom plötzlichen, stummen Schlaf der Gerechten ausgeschaltet wurden.
    Ich bin nicht fertig, dachte der rationelle Teil ihres Gehirns, als sie hellwach und bei Tageslicht über die Sache nachdachte. Ich bin einfach noch nicht fertig mit dem Orchideenweg 9.
    Sprach da die Abhängigkeit in ihr? War das die betrügerische Vorstellung des Rauchers oder Alkoholikers, daß man »fertig« werden konnte. Daß man rauchen und saufen mußte, bis man auf dem Grund angekommen war, daß es einen solchen Grund gab, schlammig und ekelhaft wie der Grund eines nicht gereinigten Brunnens?
    Dabei war doch das eigentliche Wesen der Abhängigkeit Endlosigkeit. Ekel und Genuß Hand in Hand in einem sich endlos drehenden Rad. Es war ein Ort, den man verlassen mußte, nicht eine Strecke, die man hinter sich bringen mußte.
    Sie war sich klar darüber, wie gefährlich ihre Überlegungen waren, und doch ließ der Gedanke sie nicht los, er war da wie eine Fliege, die ständig an ihrem perlengeschmückten Ohrläppchen surrte. »Nicht fertig. Nicht fertig.«
    Yvonne war immer bestrebt, die Dinge abzuschließen. Auch schlechte Projekte mußten abgeschlossen werden – nicht unbedingt durchgeführt werden, aber auch wenn sie abgebrochen wurden, mußten sie ein klares und deutliches Ende haben, man mußte sie abschließend bewerten und dann aus dem Kopf bekommen, um Platz zu haben für neue, frische Ideen. Ausdrücke, die Passivität oder Ergebenheit ausdrückten wie »ist im Sand verlaufen« oder »da wurde nie was draus« waren bei »Deine Zeit« verboten. Man macht etwas oder man macht es nicht. Man faßte einen Beschluß. Und wer einen Beschluß faßt, muß das den anderen Beteiligten so schnell wie möglich mitteilen.
    »Es hat alles einen Anfang und ein Ende« war der Titel eines Vortrags, den sie einmal gehalten hatte und in dem genau diese Fragen angesprochen wurden. Sie hatte von der Arbeit gesprochen, von der

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