Saubere Verhältnisse
Bernhard an und sagte, daß sie am nächsten Tag nicht kommen könne, sie sei krank.
»Nora, du Ärmste. Du klingst wirklich nicht gut, aber es ist wunderbar, deine Stimme zu hören. Ich wollte dich anrufen, aber ich habe keine Telefonnummer von dir. Ich möchte mit dir über das reden, was am Montag vorgefallen ist.«
»Bernhard, ich habe vierzig Grad Fieber und kann jetzt nicht darüber reden.«
»Aber ich wollte nur sagen, daß ich nichts bereue. Es war schrecklich, daß Helena ausgerechnet da kommen mußte, ein richtiger Schock. Aber ich bereue dennoch nichts. Verstehst du?«
»Bitte, Bernhard …«
»Ich habe mit dem Personal im Gefängnis gesprochen, und sie haben mir versprochen, daß sie mich in Zukunft informieren, wenn sie so einen begleiteten Hafturlaub bekommt. Hast du Angst? Wegen dem, was ich dir erzählt habe und was du im Polizeibericht gelesen hast?«
»Ich werde eine Zeitlang nicht zu dir kommen. Und zwar weil ich krank bin. Allein deswegen. Ich bin so müde. Ich muß jetzt Schluß machen.«
»Kann ich nicht deine Telefonnummer bekommen, Nora? Damit ich dich anrufen kann und fragen, wie es dir geht?«
Sie drückte auf den roten Knopf des Telefons und beendete das Gespräch.
Am nächsten Tag war sie so krank, daß sie nicht mehr an eine normale Grippe glauben wollte. Sie hatte immer noch etwa vierzig Grad Fieber, jeder einzelne Muskel tat ihr weh, und sie hatte solche Nackenschmerzen, daß sie den Kopf nicht vom Kissen heben konnte. Jörgen rief beim Krankendienst an, der seine Vermutung bestätigte, ja, genau so krank konnte man von dieser Grippe werden. Fieber und Muskelschmerzen waren typische Symptome. Wenn Yvonne keine anderen Probleme hätte, am Herzen oder mit den Lungen, bestünde keine Gefahr. Es würde in ein bis zwei Wochen vorübergehen.
Und zwei Wochen später war Yvonne wieder auf den Beinen, müde, abgemagert und deutlich gezeichnet von der Krankheit. Sie feierte ihre wiedererlangte Gesundheit mit einem Einkaufsbummel in den Kleiderboutiquen des großen Kaufhauses NK. Methodisch graste sie ein Stockwerk nach dem anderen ab und durchsuchte mit Kennerblick die exklusiven Marken-Shops. Ihre flinken Finger durchsuchten die Kleiderbügel und strichen über Material und Nähte. Kleider kaufen war eine Kunst, die sie vollendet beherrschte – sie kaufte schnell, qualitätsbewußt und zum richtigen Preis. Sie probierte nur selten etwas an – nach langjähriger Erfahrung konnte sie, wenn sie ein Kleidungsstück nur in der Hand hielt, beurteilen, ob es ihr paßte oder nicht.
Sie verließ das Warenhaus mit Tüten aus gewachstem Papier und Griffen aus dicken, seidigen Kordeln, die ihre Ausbeute enthielten: einen weißen Kaschmirpulli mit sehr weitem Rollkragen, der sich über die Schultern legte und die Trägerin wie ein Baiser aussehen ließ. Ein graphitgraues Kostüm, sündhaft teuer. Eine Bluse in einem matten Rot, irgendwo zwischen Rost und Kirsche. Einen melierten taillierten Wollblazer. Ein Paar marineblaue Hosen, ein bißchen langweilig, aber sehr vielseitig und aus wunderbarem Material. Drei einfarbige, langärmlige Tops aus Baumwolljersey, neutral und auch sehr vielseitig. Sechs Paar Socken in einer ausgewogenen Materialmischung, genug wollige Wärme, aber doch bei 60 Grad zu waschen. Ein Paar olivgrüne Cordjeans mit betonten, sexy Nähten auf den Schenkeln und originellen Taschen. Und einen Ledergürtel zu all den Hosen.
Sie hatte auch ihren Schminkvorrat aufgefüllt, Grundierung, farblosen Lip gloss und Lidschatten in den Farben Erde, Kakao, Asche und Kaktus.
Sie beendete die Runde mit einem Besuch bei dem Friseur, zu dem Cilla ging, als sie noch nicht mit Benny zusammen war. Er verpaßte ihr einen schulterlangen Stufenschnitt mit dünnen, dunkelroten Strähnchen, die ihr braunes Haar glänzen und glühen ließen.
Nicht schlecht, dachte Yvonne am nächsten Morgen, als sie in der Garderobe von »Deine Zeit« einen Blick in den Spiegel warf.
Sie trug die olivgrüne Cordhose und den Wollblazer. Nora Brick war sehr weit weg. Sie war schon um sieben Uhr früh im Büro gewesen und hatte die enorme Menge von E-Mails durchgesehen, die während ihrer Abwesenheit aufgelaufen waren. Als Lotta und Cilla gegen neun auftauchten, hatte sie auch ihre Papierpost geöffnet und sortierte routinemäßig die Informationen, mit denen sie überschüttet worden war: wegwerfen, bearbeiten, archivieren. Es ging nicht ganz so schnell wie sonst, sie spürte, wie es in der sonst so geschmierten
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