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Saubere Verhältnisse

Saubere Verhältnisse

Titel: Saubere Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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wollte, bat ich sie, noch nicht richtig zu gehen. Dann blieb sie noch ein wenig. Wir verabschiedeten uns, und ich überredete sie noch einmal, zu bleiben. Und dann sagte sie, jetzt müsse sie wirklich gehen. Und ich weinte und bat sie, noch ein bißchen zu bleiben. Bis ich mich beruhigt hätte. Sie hielt mich lange im Arm. Und dann ließ sie mich plötzlich los und ging. Ohne eine Wort. Sie ging einfach. Sie konnte es einfach nicht anders machen.
    Und obwohl unser Abschied so lange gedauert hatte, kam er für mich sehr plötzlich. Viel zu früh. Ganz falsch. Ich schrie: ›Noch nicht!‹ Aber sie drehte sich nicht um. Sie ging ganz ruhig zur Tür, als hätte sie mich nicht gehört.«
    Er schwieg und schaute erstaunt auf seine zitternden Hände. Er hob eine Hand und drehte sie langsam um, damit er sie von allen Seiten betrachten konnte, als ob sie ein unbekannter Gegenstand wäre. Yvonne nahm die zitternde Hand und hielt sie weich zwischen ihren.
    »Was passierte dann?« fragte sie vorsichtig.
    »Ja, ich versuche, mich daran zu erinnern. Ich habe es noch nie jemandem erzählt. Ich habe es gewissermaßen nicht einmal mir selbst erzählt, so in einem Fluß. Es sind nur einzelne Bilder, unsortierte Bilder.«
    »Was wolltest du tun, als sie zur Tür ging?«
    Er zog seine Hand zu sich und saß zusammengekauert unter seinem Hemd wie eine Schildkröte unter ihrem Panzer.
    »Ich wußte nur, daß sie nicht über die Schwelle treten durfte. Egal was, ganz egal was, aber das nicht. Ich muß in der Küche das Messer geholt haben, aber daran erinnere ich mich nicht. Vielleicht habe ich etwas gesagt, das sie warten ließ, während ich das Messer holte. Und dann das Gefühl, völlig außer sich zu sein, buchstäblich außer sich. Mir war nicht richtig bewußt, daß ich ein Messer in der Hand hatte. Aber vielleicht ist das auch eine nachträgliche Rechtfertigung. Aber es war so ein Gefühl, als wäre das Messer nur eine Verlängerung meines Gefühls. Als ginge eine gerade Linie vom Schmerz in meinem Herzen durch den Arm in das Messer. Es vermittelte, was ich anders nicht vermitteln konnte. Ein schreckliches, tödliches Ausdrucksmittel für ein schreckliches, tödliches Gefühl.
    Ich glaube, ich habe gedacht, ich würde das gleiche mit mir machen. Daß wir beide sterben würden. Aber das ist vielleicht auch eine nachträgliche Rechtfertigung. Das einzige, woran ich mich wirklich erinnere, ist meine absolute Überzeugung, daß sie nicht über diese Schwelle gehen durfte. Was auch passieren würde, keine Katastrophe konnte so groß sein wie das. Als ich begriff, was ich getan hatte, rief ich Helena an.«
    »Wäre es nicht besser gewesen, einen Notarzt oder die Polizei zu rufen?« wandte Yvonne ein. »Warst du sicher, daß sie tot war?«
    »Nein, nicht ganz sicher. Aber Helena würde das sehen. Sie ist Krankenschwester.«
    »Aber ein Notarztwagen wäre doch viel schneller dagewesen! Und hätte andere Möglichkeiten gehabt.«
    »Aber ich war ziemlich sicher, daß sie tot war. Und … ja, ich habe eigentlich nicht sehr viel gedacht. Es ging irgendwie von alleine, Helena war die erste, die in meinem leeren Kopf auftauchte. Ich rief sie an und erzählte, was ich getan hatte. Sie verstand es sofort, sie hat eine rasche Auffassungsgabe. Sie gab mir kurze Instruktionen: ›Bleib, wo du bist. Mach überhaupt nichts. Setz dich auf einen Stuhl und warte, bis ich komme.‹
    Ich tat, was sie gesagt hatte. Sie muß wie eine Wahnsinnige gefahren sein, oder mein Zeitbegriff funktionierte nicht mehr, denn ich hatte das Gefühl, daß sie da war, kurz nachdem ich aufgelegt hatte. Sie schaute sich erst Karina an und konstatierte, daß sie tot war. ›Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um alles‹, sagte sie.
    Und so war es. Sie half mir, die blutigen Kleider auszuziehen und mich zu waschen. Es war wieder wie im Krankenhaus, nach dem Selbstmordversuch, als sie mich waschen mußte. Sie wusch mich sorgfältig mit einem Waschlappen. Mein Gott, wie habe ich sie da geliebt. Es war die größte Liebeshandlung, die ich je erfahren habe.«
    Bernhard richtete sich auf, das Hemd glitt herab, aber er schien es nicht zu merken. Seine Stimme war weich und rätselhaft, als ob er aus einer verborgenen, geheimen Welt sprechen würde.
    »Ich hielt ihr meine Hände und Arme hin, ich drehte und wendete mich, und sie wusch mich. Gründlich, überall. Das Blut war an den merkwürdigsten Stellen, in den Ohren, den Achselhöhlen, als ob ich in Blut geduscht hätte. Und

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