Saubere Verhältnisse
machen.«
»Es ist viele Jahre her, daß du von der Brücke gesprungen bist, Bernhard. Du warst jung und unreif. Ich glaube nicht, daß du es getan hättest, wenn du gewußt hättest, welche Schmerzen du erleiden müßtest und welche Behinderungen du riskieren würdest. Außerdem warst du betrunken. Du würdest es jetzt nicht noch einmal machen.«
Er zuckte mit den Schultern.
»Du hast vielleicht recht. Ich denke jeden Tag daran. Schluß zu machen. Aber ich tue es doch nicht. Ich bin wohl zu feig. Weißt du, Nora, bis zum Geschehen im Sommerhäuschen habe ich immer geglaubt, das schlimmste Gefühl, das man erfahren kann, ist Trauer. Die Trauer, jemanden verloren zu haben. Verlassen worden zu sein. Ich habe weiß Gott getrauert. Aber Trauern ist nichts gegen Schuld. Schuld!« Er schleuderte das Wort wie einen Peitschenhieb über seine nackte Brust. »Das ist das Allerschlimmste.«
Yvonne beobachtete sein zusammengekniffenes, gequältes Gesicht und sagte leise:
»Du hast unrecht, Bernhard. Es gibt etwas, das ist noch schlimmer als Schuld empfinden: keine Schuld zu empfinden. Wer keine Schuld empfinden kann, ist kein Mensch mehr. Er ist ein Monster. Du hast mich einmal gefragt, ob es Vergebung gibt. Weißt du noch? Und ich habe gesagt, ich glaube, ja. Wenn es Schuld gibt, dann muß es auch Vergebung geben. Ich denke, das ist der Witz an den Schuldgefühlen. Daß man gestehen und bereuen kann und einem vergeben wird.«
Sie machte eine Pause und schaute ihm tief in die Augen, ehe sie fortfuhr:
»Du weißt, was du jetzt machen mußt, oder?«
Er schaute sie fragend an.
»Du mußt natürlich zur Polizei gehen und die Wahrheit sagen.«
Er schnappte vor Schreck nach Luft und sagte in scharfem Ton:
»Wie ich und Helena die Angelegenheit behandeln, geht niemanden etwas an. Ich habe dir das im Vertrauen erzählt, Nora, und ich verlasse mich darauf, daß es zwischen uns bleibt.«
»Ich habe nicht vor, dich bei der Polizei anzuzeigen. Ich glaube auch nicht, daß mir überhaupt jemand zuhören würde. Es ist gar nicht so einfach, ein Urteil aufzuheben. Vor allem, wenn der Verurteilte es nicht will. Aber wenn du selbst hingehen würdest, wäre das etwas anderes. Ich bitte dich deshalb ganz einfach, Bernhard: sag die Wahrheit.«
Er betrachtete sie mit einer Art enttäuschter Verwunderung.
»Du hast gesagt, du bist mein Schutzengel, Nora. Ich dachte, du würdest mich schützen.«
»Das tue ich auch. Ich schütze dich vor dir selbst.«
»Du kannst mich nicht zwingen, zur Polizei zu gehen«, sagte er heftig.
»Und wenn Helena dich bitten würde? Würdest du es dann machen?«
»Helena wird mich niemals darum bitten.«
»Aber wenn sie es tun würde?«
Yvonne schaute ihm starr in die Augen.
Er dachte eine Weile nach und antwortete dann:
»Wenn Helena mich um etwas bitten würde, dann würde ich es tun. Ohne zu zögern.«
»Gut«, sagte Yvonne kurz. Sie stand auf. »Das ist ja das Wichtigste. Daß ihr euch einig seid.«
»Genau.«
»Ich gehe jetzt. Deine Hemden hängen im Badezimmer. Der Trockner ist noch nicht geleert, das kannst du vielleicht selbst machen.«
»Ja. Und du kommst dann am Donnerstag? Und nimmst im Juli Urlaub?«
»Nein, Bernhard. Ich komme nicht mehr.«
»Nimmst du jetzt gleich Urlaub?«
»Ich kündige.«
Er starrte sie an.
»Kündigst? So plötzlich? Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Doch, das ist mein Ernst. Ich werde keinen Fuß mehr in dieses Haus setzen. Mir ist übel von dem, was du mir erzählt hast. Ich kann nicht mehr unter einem Dach mit dir sein, Bernhard.«
Sie stand auf und ging schnell zur Diele.
»Nein. Warte doch. Das kannst du nicht machen. Komm zurück!«
Er lief ihr hinterher und packte sie am Arm. Es war ein harter, schmerzhafter Griff, und sie blieb stehen.
»Hab keine Angst, Nora. Ich will dir nichts tun. Aber du kannst mich jetzt nicht so verlassen. Du bist doch mehr als eine Putzfrau, Nora. Wir haben doch mehr gemeinsam, hast du das vergessen?«
»Sex. Das bedeutet nichts. Das hast du doch gesagt, oder?« zischte sie.
»Aber du bedeutest mir wirklich etwas. Ich warte immer auf die Montage und die Donnerstage, wenn du herkommst. Weißt du das nicht?«
Er hielt sie an beiden Armen fest, und ihr wurde klar, daß sie aus eigener Kraft nicht loskommen würde. Sie sah, wie die kräftigen Muskeln in seinen Schultern und Oberarmen sich anspannten.
»Laß mich los, bitte laß mich los«, bat sie und war selbst erstaunt, wie jämmerlich ihre Stimme klang.
»Nicht, wenn
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