Sauberer Abgang
Hause bist, könnten wir da nicht auch …«
Will ging hinüber in die Küche. Über ihm lachte es schrill. Die Wagner hatte Freundinnen zu Besuch, das erklärte das massenhafte Auftreten der Kids. Kaffeeklatsch mit viel Kuchen. »Aber bitte mit Sahne.« Und dann wunderte sie sich, daß ihre beiden Jungs schon jetzt so übergewichtig waren wie die Mutter. Die Damen oben lachten wieder, sehr entspannt. So ein Kaffeeklatsch konnte dauern, die Kinder waren ja vorm Fernseher geparkt. »Video killed the radio star«, dachte er und fühlte sich plötzlich steinalt.
Die Küche war sein Revier gewesen. Er hatte für scharfe Messer gesorgt, für die richtigen Öle und den besten Essig. In der neuen Wohnung würde er sich wahrscheinlich aufs Warmmachen von Seniorengerichten beschränken, den Alten wie ein Kind schon nachmittags vorm Fernseher ruhigstellen und abends zum nächstbesten Italiener gehen. Wozu also noch scharfe Messer und handgeschmiedete Eisenpfannen?
Nur den Korkenzieher, einen teuren Screwpull, würde er mitnehmen. Und die Dekantierkaraffe. Ihr lag nichts dran. Vera hatte irgendwann begonnen, das Weintrinken einzuschränken und schließlich einzustellen. Es schmecke ihr nicht besonders gut, hatte sie mit leiser, etwas wehleidiger Stimme gesagt, vor allem nicht die Weine, die er »anspruchsvoll« nannte, und außerdem mache der Alkohol womöglich unfruchtbar. Von der Theorie hatte er noch nie gehört, aber ihren Blick konnte er lesen.
Es ging seit einiger Zeit immer nur um das eine. Um das, was sie ihre »biologische Uhr« nannte, die sie angeblich »ticken« hörte. Sie wollte ein Kind. Sie wollte Kinder. Von ihm, und zwar bald. Und weil er ja nun eh zu Hause war und nichts auf einen beruflichen Höhenflug deutete, hielt sie die Zeit für reif.
Will hatte sich wie der Fuchs im Fangeisen gefühlt. Denn er hatte ihr nichts entgegenzusetzen – jedenfalls nichts, was sie verstanden hätte.
Ganz zu Anfang ihrer Beziehung hatte er mit der Lage der Welt argumentiert, die es unverantwortlich mache, ein Kind in dieselbe zu setzen, hatte auf den Krieg in Jugoslawien verwiesen, auf die Klimakatastrophe, die Staatsverschuldung. Eine Zeitlang hatte er an seine Argumente sogar geglaubt. Sie hatte irgendwann nur noch gelacht. »Und das sagst du? Der du regelmäßig gegen die Alarmisten wetterst, die alle naselang den Weltuntergang ausrufen?«
Will wickelte den Screwpull in die Zeitung von heute und legte ihn in die Bücherkiste im Flur. Er zögerte, bevor er ins Schlafzimmer ging. Es roch nach ihrem Parfum – Serge Lutens, die letzte Flasche hatte er ihr geschenkt. Das Bett war nicht gemacht und ihr Rock und die Strumpfhosen lagen noch da, wo sie sie gestern fallen gelassen hatte. Er setzte sich auf die Bettkante und legte das Gesicht in die geöffneten Hände. Sie hatten sich mit einer Sehnsucht geliebt, daß er beim bloßen Gedanken daran weiche Knie kriegte. »Das war doch immer gut gewesen zwischen uns«, hatte sie danach geflüstert und den Kopf auf seine Brust gelegt. Und dann kamen die Tränen, leise, verzweifelt, ohne all die Wut, die er sonst von ihr kannte.
Er hätte es ihr so gerne erklärt. Er versuchte es ihr seit Jahren zu erklären, jedenfalls in Gedanken. Die Erklärung fing immer mit »Versuch mich zu verstehen, Vera« an. Versteh mich doch. Ich würde gerne bei dir bleiben. Ich drücke mich nicht vor der Verantwortung. Ich würde auch für zwei, ach was: für drei arbeiten, wenn man mich ließe. Ich will, daß du glücklich bist. Und ich habe auch nichts gegen Kinder. Höchstens – gegen die da oben über meinem Kopf.
Und gegen welche, die von mir stammen.
Will atmete tief ein, stand auf und räumte Hemden und T-Shirts aus der Kommode. Vera, hör mir zu. Der Gedanke an ein Kind, das mir gleicht, ist mir unerträglich. Ein Kind, das so unglücklich ist, wie ich es war. Gepeinigt von Albträumen und Urängsten. Geplagt von viel zu langen Gliedmaßen und abstehenden Ohren.
Höre, Vera. Und wenn ich ein Vater würde wie der, der mein Vater war? Ein autoritärer Sack, der nie zu Hause ist? Was täte das deinem Kind?
»Du wärst der liebevollste Vater der Welt«, hatte sie einmal gesagt. Vielleicht. Aber konnte man sich darauf verlassen? Die Wahrheit war – er wollte keine Selbstverewigung. Er wollte nichts weitergeben, nichts vererben.
Irgendwann war sie gestern ins Bad gegangen. Als sie wiederkam, setzte sie sich auf die Bettkante und sah ihn an, mit einem dieser tiefen Blicke, die ihn unruhig
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