Savoir-vivre mit Hindernissen
einen weiten Blick auf die angrenzenden Weinfelder, deren Stöcke noch keine Blätter tragen.
»Im Sommer muss es hier traumhaft sein«, schwärmt Anja, aber ich finde es auch im März schon unbeschreiblich schön. In der Vorsaison ist das Haus nur schwach belegt. Wir luschern vom Balkon auf die Terrasse und werfen einen Blick auf die wenigen Hotelgäste, die bei Kaffee oder Wein die ersten Sonnenstrahlen genießen. Auch uns steht der Sinn nach einem Getränk und ich nehme meine Mappe mit den Immobilienangeboten unter den Arm. An der Rezeption liegt eine Umgebungskarte aus, die ich mir gleich schnappe. Während ich Anja die Straßennamen ansage, sucht sie den Weg im Plan heraus. Wir sitzen noch keine zehn Minuten im Garten und warten noch auf unseren Kaffee, als sich die beiden Männer vom Nebentisch für uns interessieren.
»Auf Urlaub hier?«, fragt der ältere der beiden. Ich schätze den übergewichtigen Anzugträger auf Anfang sechzig. Sein Begleiter dürfte in meinem Alter sein. Auf jeden Fall fällt keiner der beiden in Anjas Beuteschema. Dementsprechend unfreundlich antwortet sie ihm.
»Nein, wir sind zur Zwangsarbeit hier. Eine Resozialisierungsmaßnahme, die aus EU Geldern gefördert wird.« Ich könnte schon wieder im Erdboden versinken. Mein böser Blick soll sie auffordern, auf der Stelle ihre freche Klappe zu halten. Schließlich soll diese Gegend irgendwann mal mein Zuhause werden. Und es wäre schön, wenn sie mich nicht schon vorher unmöglich macht.
»Halte dich zurück«, zischel ich ihr zu. Aber zu spät. Der Anzugträger scheint nicht dünn besaitet zu sein und fragt, was wir denn verbrochen hätten und bietet an, uns auf dem Weg zurück in die Gesellschaft behilflich zu sein.
»Sie sind aber mutig, mein Herr. Wissen Sie denn nicht, wer wir sind? Lesen Sie keine Zeitung?« Ich ahne schon was jetzt kommt und schaue Anja beschwörend an. Bitte jetzt nicht die Geschwistergeschichte! Aber mein Hoffen ist vergeblich.
»Haben Sie denn nicht von den männermordenden Schwestern Hallbach gehört? Das sind wir. Meine Schwester Lilo Hallbach und ich heiße Josefine.«
Na bravo, ich hab mal wieder den doofen Vornamen abgekriegt. Gleich sagt sie wieder, dass wir auf Bewährung raus sind und er uns besser nicht in Versuchung führen sollte. Und richtig, sie lässt die alte Story los. Aber er lässt sich nicht abschrecken.
»Für Geschwister habe ich Sie nun wirklich nicht gehalten. Ich sehe nicht die Spur einer Ähnlichkeit.«
»Josefine kommt nach unserem fetten Vater, während ich die zarte Figur meiner Mutter geerbt habe«, sage ich und kann mein Lachen kaum noch unterdrücken. Damit habe ich Anja vorläufig ausgebremst und sie ist endlich still. Ich entschuldige mich für das unmögliche Benehmen meiner Freundin und erkläre es mit ihrem gerade repariertem Dachschaden. Nach langem Warten kommt unser Kaffee und ich begrüße Nicole Hinrichs, die sich noch gut an mich erinnern kann.
»Kommt Ihr Mann auch noch?«, will sie wissen und ich erzähle ihr von meinem Sondierungsauftrag.
»Wenn ich fündig werde, dann sind wir spätestens Ostern wieder gemeinsam hier.« Ich schaue der Enddreißigerin auf ihren Bauch und sie lächelt mir zu.
»Ja, im siebten Monat. Ein Wunschkind. Es wird bestimmt ein Mädchen, so wie ich unter der Schwangerschaft leide.« Wieder fühlt sich der Anzugsträger angesprochen und mischt sich ein.
»Nicole, Sie sehen blendend aus. Wenn Sie Leiden sehen wollen, dann schauen Sie mich an. Ich sitze hier seit einer halben Stunde auf dem Trockenen und würde gern noch eine Karaffe Wein bestellen.« Die Wirtin nickt freundlich und flüstert mir zu, dass wir uns später noch unterhalten wollen. Die Sonne versteckt sich hinter dunklen Wolken und ich trinke meinen Kaffee schnell aus. »Lass uns zu Hause anrufen«, schlage ich Anja vor. Als ich die Landkarte zurück an den Empfangstresen bringe, fragt Christopher, ob ich und meine Begleitung heute bei ihnen zu Abend essen möchten. Außerhalb der Saison wird nur auf Bestellung gekocht. Heute steht Lapin aux Vin auf der Karte.
»Lecker. Wann soll es losgehen?«
»Zwanzig Uhr. Für zwei Personen?« Ich nicke und gehe mit Anja die Treppe hinauf. Was Lapin ist, will sie wissen und ich antworte ihr, dass es genau ihren Geschmack trifft.
»Rammler in Wein. Das sollte dir doch entgegenkommen.«
Ich habe mir schon früh abgewöhnt, gleich »Hey, Schatz« oder
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