Pflicht und Verlangen
Kapitel
1
» Sie
wird sich hoffentlich gut einfügen. Ihr Vater war ja doch ein
sehr eigensinniger Mensch ohne jede Moral und bar jeden Anstands.
Wenn man bedenkt, dass er Ihre liebe Schwester Elisa, die immer so
gütig und nachgiebig war, zu einer solch skandalösen
Verbindung …«
» Aber
liebste Lady Millford, natürlich wird sie das. Da habe ich keine
Zweifel. Die Erziehung, die das Kind in den sechs Jahren im Institut
von Mrs Longbottom bekommen hat, wird ohne Zweifel die möglichen
Mängel ihres Charakters geglättet haben. Auch hat sich Mrs
Longbottom in ihrem Brief doch eher wohlwollend über das Mädchen
geäußert, wenn auch nicht ohne eine feine Andeutung auf
gewisse Neigungen, die ich mir noch nicht ganz erklären kann,
welche aber sicher unbedeutend sind. Sonst hätte Mrs Longbottom
sich gewiss ausführlicher darüber gegeben. Seien Sie ohne
Sorge. Es wird schon gut werden.«
Sir
Alistair (1) nickte seiner Gattin begütigend zu, die sorgsam die
Falten ihres Kleides glatt strich. Etwas, das ihr mit den steilen
Falten auf ihrer Stirn ganz und gar nicht gelingen wollte. Lady
Millford war von Anfang an gegen diese Idee ihres Gatten gewesen.
Sicher, das Glück der Mutterschaft war ihr in ihrer nunmehr
dreiunddreißig Jahre währenden Ehe mit Sir Alistair nicht
vergönnt gewesen. Aber sich deshalb die Frucht dieser
unmöglichen Verbindung ins Haus zu holen? Es war damals wirklich
ein Skandal gewesen, der Millford Hall in seinen Grundfesten zu
erschüttern drohte. Keiner hatte zunächst etwas Böses
vermutet, als der junge Mr Brandon in Millford Hall eingeführt
wurde. Ein Student war er gewesen, der seinen Onkel, den Pfarrer der
zu Millford gehörenden Pfarrei, besucht hatte. Er sei auf der
Durchreise nach Italien und Griechenland wurde berichtet, wo er
Studien des Altertums (wer hatte je von noch nutzloserer Tätigkeit
gehört!) unternehmen wollte. Nun ja, man war höflich und
interessiert gewesen. Wenn auch Lady Millford partout nicht in den
Kopf wollte, warum man auf den jungen Mann so intensiv einging und
ihn mehrfach mit seinem Onkel zum Dinner nach Millford Hall einlud.
Aber ihre Schwiegermutter war ja schon immer etwas schwach und
nachgiebig gewesen. Eine Eigenschaft, die sie unglücklicherweise
auch ihrem Sohn, Sir Alistair Millford, dem jetzigen Herrn von
Millford Hall, vererbt hatte.
Nun,
es kam, wie es kommen musste, oder wie sie es natürlich hatte
kommen sehen. Sie erinnerte sich mit einer gewissen Genugtuung daran.
Die junge Lady Millford, die jüngere Schwester von Alistair
Millford, verliebte sich in diesen nichtsnutzigen Menschen, der weder
einen einträglichen Beruf noch ein wirkliches Einkommen
vorweisen konnte. Natürlich waren sowohl Lady Millford, die
Mutter Sir Alistairs, als auch deren damals schon schwer kranker
Gatte, der alte Sir Thomas Millford, Herr über Millford und
Lower Woodland, strikt gegen die Verbindung gewesen und hatten dem
jungen Mann umgehend den Umgang mit Elisa und jeden weiteren Besuch
auf Millford Hall untersagt. Aber kurze Zeit später – sie
erschauerte jetzt noch, als sie sich den unglaublichen Skandal erneut
in Erinnerung rief – war Elisa tatsächlich mit diesem
unsäglichen Menschen durchgebrannt. Natürlich war sein
Onkel, Pfarrer Brandon, untröstlich über die unglückliche
Entwicklung – und noch untröstlicher darüber, dass er
infolgedessen auf eine andere Pfarrstelle versetzt wurde, die weit
weniger einträglich war als die große Gemeinde von
Millford. Aber es war ja nicht zu vermeiden gewesen, das hatte man
ihm aufs Deutlichste erklärt. Schließlich hatte er den
jungen Brandon ins Haus gebracht und hätte doch um dessen
zügellosen Charakter wissen müssen.
Ach,
es war eine schwere Zeit gewesen, dieser Sommer vor zweiundzwanzig
Jahren. Bald darauf segnete dann auch der alte Baronet das Zeitliche.
Wohl auch infolge des Schocks über das nicht zu verteidigende
Vergehen seiner Tochter, für die er doch eine glänzende
Partie geplant hatte. Diese Folge hatte für sie selbst immerhin
eine positive Wendung gebracht, da sie dadurch zur Herrin auf
Millford Hall wurde. Eine Stellung, die sie nunmehr seit
einundzwanzig Jahren mit aller Schicklichkeit, notwendigen Strenge
und großer Umsicht ausfüllte.
Nur
eines hatte sie nicht erreichen können: einen Erben für
ihren Gatten, den jetzigen Sir Alistair Millford, Herr über
Millford und Lower Woodland, in die Welt zu setzen. All ihre
Hoffnungen waren nun schon seit Langem zunichte. Mit
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