Savoir-vivre mit Hindernissen
zweiten Geschäft werde ich fündig. Ich finde das Kleid rattenscharf und auch Martin findet mich darin bezaubernd, obwohl er sich mit der Farbe Steingrau nicht so recht anfreunden kann. Auf dem Weg ins Parkhaus sehe ich zwei junge Frauen auf uns zukommen. Als ich sie erkenne, senke ich sofort meinen Kopf. Zu spät. Lena und Lisa haben uns sofort erkannt. Sie begrüßen mich mit einer Umarmung und fragen, seit wann wir in Hamburg sind.
»Wir sind nur auf Stippvisite hier. Martin hat wichtige Termine und es geht auch morgen schon wieder zurück, schwindel ich die Mädchen an.«
»Weiß Mama, dass du wieder da bist?«
»Nein, ich hatte noch keine Zeit, sie anzurufen.«
Die Situation ist unerträglich und ich will die beiden nicht länger anlügen. Ich schaue auf die Uhr und sage, dass wir dringend los müssen. Zum Abschied gebe ihnen einen Kuss auf die Wange und fühle mich hundeelend.
Am liebsten würde ich meinen Wagen in einem anderen Stadtteil parken und mit dem Taxi zurückfahren. Zu Hause das Licht löschen und die Klingel abstellen, denn mir ist klar, dass Anja in spätestens zwei Stunden vor meiner Tür steht. Ich schicke Martin in die Firma und rufe Linde auf dem Handy an.
»Lass uns den Nachmittag im Stadtpark verbringen. Dort gibt es ein nettes Lokal und ich lade dich zum Essen ein.«
Das war weder eine Frage noch eine Bitte. Das war ein Befehl a la Corinna Seibert.
Ich habe mir schon einen Cappuccino und ein Wasser bestellt, als ich Linde in einem Taxi vorfahren sehe. Sie bestellt sich einen Magenbitter und empfiehlt mir, es ihr gleich zu tun.
»Du machst ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Läuft bei dir etwa immer noch der Film mit der Duschszene ab? Dann wechsel endlich das Programm.«
»Wenn du mir sagst, wo der Knopf zum Umschalten ist, mache ich es sofort. Wieso bist du so gut über die Einzelheiten informiert. Hat Martin etwa vor dir damit geprahlt?«
»Martin? Der würde eher seine Zunge verschlucken, als mit mir über Sex zu sprechen. Ich weiß es nicht von ihm, sondern von ihr. Während der Chemotherapie hat sie sich bei mir ihr Gewissen erleichtert. Allerdings habe ich Martin gut zugeredet, es dir endlich zu sagen. Es war doch nicht zu übersehen, wie sehr ihn seine Schuldgefühle zermürbt haben.«
Ich folge Lindes Rat und bestelle mir auch einen Magenbitter und erzähle ihr von dem Zusammentreffen mit Anjas Töchtern im Parkhaus.
»Jetzt weiß sie, dass ich hier bin und sie wird mich garantiert aufsuchen.«
»Und? Dann sage dem Flittchen, dass du Bescheid weißt und dass du dich vor deiner Hochzeit nicht ihrer negativen Energie aussetzen willst.«
Typisch Linde. Aber der Vorschlag ist nicht der Schlechteste. Warum soll ich mich eigentlich verstecken? Ich hab doch nichts verbrochen. Ich lasse mich von meiner Schwiegermutter in spe zu einem Stück Torte überreden und schwärme von meinem Hochzeitskleid, das im Kofferraum meines Wagens liegt.
»Steingrau? Du gehst doch nicht zur Beerdigung.«
Ich zeige dem Kellner an, dass ich zahlen möchte, als mein Handy klingelt. Wie erwartet ist es Anja und ich hole einmal tief Luft.
»Seit wann bist du in Hamburg, du treulose Tomate. Lena hat mir gerade gesagt, dass ihr euch getroffen habt. Warum meldest du dich nicht bei mir? Kommt ihr heute Abend zum Essen? Lotte? Bist du noch dran?«
»Ja, ich höre dich und nein, wir kommen nicht zum Essen. Martin und ich heiraten morgen und nach der Trauung wollen wir ungestört duschen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Nach einer unerträglich langen Pause des Schweigens sagt sie mit dünner Stimme »Ich freue mich für euch. Viel Glück, Lotte« und legt auf.
Ich finde, das Kleid ist der Knüller und Martin meint, die Bezeichnung trifft eher auf die Frau zu, die darin steckt.
»Na, Talbach aufgeregt? Soll ich dich ein bisschen ablenken? Ich könnte dir die Ringe zeigen, die ich heute vom Juwelier abgeholt habe. Die Gravur ist der Hammer.«
»Was ist an unserem Namen und dem morgigen Datum denn der Hammer? Hast du etwa auch Mc Seibert eingravieren lassen?«
Hat er nicht und er grinst wie ein kleiner Junge.
»Eigentlich solltest du es erst morgen sehen, aber ich platze gleich, wenn ich nicht sofort deine Reaktion bekomme.«
»Zeig schon her, du Kindskopf.«
Er reicht mir meinen Ring und stellt das helle Oberlicht an. Ich kann es ohne Brille lesen. Endlich... für immer
»Du bist ja ein waschechter
Weitere Kostenlose Bücher