Savoir-vivre mit Hindernissen
heutigen Trauung. Die Mitarbeiter können uns später persönlich gratulieren, wenn wir auf ein Glas Champagner zurück in die Wohnung fahren.
Die Ansprache des Standesbeamten ist Comedy tauglich. Er beginnt damit, die Anwesenden darüber aufzuklären, dass es für Martin bereits der dritte und für mich auch schon der zweite Versuch ist.
»Sie kennen doch den Spruch, Versuch macht klug. Scheinbar haben sich hier heute zwei sehr kluge Menschen eingefunden, die den Wunsch haben, noch klüger zu werden.«
Nach seiner Auffassung sollten wir angesichts unseres fortgeschrittenen Alters, selber wissen, worauf wir uns einlassen.
»Nach meiner Erfahrung gibt es zwei Arten von Hochzeitspaaren. Die Ahnungslosen und die Unbelehrbaren. Entscheiden Sie selbst, zu welcher Kategorie Sie gehören.«
Immer wieder halte ich die Luft an, gebe leise Fieblaute von mir und drücke dann schnell meine Hand vor den Mund. Noch so ein Spruch und ich fange lauthals an zu lachen. Er kommt endlich zum Ende und er entlässt uns mit einem Zitat von Sokrates.
»Heirate oder heirate nicht. Du wirst beides bereuen. «
Noch auf dem Weg nach Hause lachen wir über diese äußerst ungewöhnliche Zeremonie. Martin meint, dass der Standesbeamte wohl selber gerade in Scheidung lebt und deshalb so negativ drauf war.
»Es tut mir leid, du hattest es dir romantischer gewünscht. Ich allerdings fand ich es extrem originell und seine Rede wird für alle Zeit unvergessen bleiben.«
Gut gelaunt und überglücklich fahren wir im kleinen Konvoi in unsere Wohnstraße. Vor der Hausnummer 12 stehen alle Mitarbeiter Spalier. Gleich werde ich als Frau Charlotte Seibert die ersten Glückwünsche entgegennehmen und steige strahlend aus dem Wagen. Doch die Gesichter meiner Gratulanten sind betreten. Wir stehen uns vor dem Eingang gegenüber und weder Sören noch die Frauen sagen ein Wort.
»So überschwänglich, braucht ihr euch nun auch nicht für uns zu freuen«, sage ich, aber meine Senf Crew schweigt weiter. Nun fragt Martin, was denn los ist und Sören macht endlich den Mund auf.
»Nicht hier draußen. Kommt mit in die Küche, aber ohne die Kinder.«
Martin und ich folgen ihnen, während Linde und Julian mit den Jungs in die Wohnung gehen. Ich fordere sie nun im forscheren Ton auf, uns endlich zu sagen, was passiert ist, als Mathilda in Tränen ausbricht. Die Spannung ist kaum auszuhalten.
»Ihr wart keine halbe Stunde weg, da hat Gerald angerufen. Anja ist tot. Wann und wie es passiert ist, weiß ich nicht. Das Gespräch war ganz kurz. Ich sollte ihm sagen, wo er dich erreichen kann. Er wartet jetzt darauf, dass du dich bei ihm meldest.«
Ich höre, was Sören sagt, aber ich begreife es nicht und schaue hilflos zu Martin. Wir stehen beide unter Schock.
Ich nehme das Telefon mit ins Schlafzimmer und schließe die Tür, bevor ich die Nummer des privaten Anschlusses wähle. Nach viermal klingeln, meldet sich Lisa. Ich brauche kein Wort zu sagen, sie weiß, dass ich es bin und weint bitterlich ins Telefon.
»Kannst du kommen? Es ist so furchtbar. Ohne dich, stehen wir das nicht durch.«
»Ja, meine Kleine. Wir machen uns gleich auf den Weg.«
Linde bietet sich an, auf die Jungen aufzupassen. Selbstverständlich will Julian uns begleiten. Seit seinem achten Lebensjahr gehörte Anja auch für ihn zur engsten Familie. An der Tür zum Restaurant klebt ein großer Zettel mit der Aufschrift Wegen Trauerfall geschlossen . Ich rufe auf Lisas Handy an und bitte sie, uns aufzuschließen. Gerald sitzt am Stammtisch und hat seinen Kopf in die Hände vergraben. Vor ihm steht eine Flasche Calvados und ein leeres Schnapsglas auf dem Tisch. Als er zu uns auf sieht, blicke ich in zwei rot unterlaufenden Augen.
»Ich gratuliere zur Hochzeit«, sagt er leise und lässt sich von mir umarmen. Lisa und Lena kommen dazu und fragen, ob wir etwas trinken wollen.
»Kaffee und einen Schnaps«, sage ich und setze mich auf die Eckbank.
»Was ist passiert?«
Gerald gibt uns eine Zusammenfassung der letzten Stunden.
»Sie war nicht davon abzubringen, dir und Martin eine Glückwunschkarte vorbeizubringen. Als sie gegen zwei Uhr nachts noch immer nicht zurück war, begann ich mir Sorgen zu machen. Ich rief sie an, aber sie meldete sich nicht. Gegen drei Uhr machte ich mich auf, um sie zu suchen. Ich brauchte nicht weit zu gehen. Sie lag regungslos auf dem Kundenparkplatz, nur wenige Meter vor ihrem Wagen. Ich
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