Sax
Verfassung steht: «Im Namen Gottes des Allmächtigen». Wenn das ernst gemeint ist, ist es eine Verletzung der Religionsfreiheit. Wenn nicht, ist es eine Verhöhnung Gottes.
Seit wann bist du ein Christ?
Gar nicht. Aber wenn nichts mehr heilig ist, ist es bald auch der Sozialismus nicht mehr. Wehret den Anfängen, sagt der Klassenfeind.
Der Gottesname ist die Einleitung der Präambel, ohne Rechtskraft.
Also nur eine Redensart? Gehört so was in eine Verfassung?
Es ist eine fromme Konvention, Reinhold.
Sie konveniert mir nicht, sie
revoltiert
mich.
Es ist die alte Eidesformel. Vielen bedeutet sie etwas.
Wie kann ihnen der Gottesname etwas bedeuten, wenn sie ihn gedankenlos in den Mund nehmen? «Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht mißbrauchen.»
Das sehen sie nicht so. Es geht um den Segen zu ihrem Werk.
Eine Verfassung ist Menschenwerk, Gott sei Dank. Da hat Gott nichts zu suchen.
Gott sei Dank, hast du gesagt. Gedankenlos?
Natürlich. Aber ich spreche ja nicht Verfassungstext. Von dem verlange ich, daß er meint, was er sagt. Und daß er dafür haftet.
Wie soll sie denn lauten, deine Klage?
Die formulierst
du
, Jurist. Entweder es gibt Gott den Allmächtigen, dann ist er über die Verfassung erhaben. Oder es gibt ihn nicht, dann soll sie uns keine Märchen erzählen. Eine Verfassung ist die Grundlage einer ehrlichen Gesellschaft. Gottes Name muß weg.
Du bist ja ein Eiferer, Reinhold.
Bei Menschen nicht. Aber wenn man es bei der Verfassung nicht genau nimmt …?
Und wenn Menschen keine ganze Sache sind?
Dann darf gerade die Verfassung keine halbe Sache sein. Dagegen muß man etwas tun. Nur das Menschenmögliche, Hubert. Tu es für mich, Advokat heißt: «Der Berufene». Ich berufe dich.
Ich wäre aber beinahe Priester geworden.
Du bist es eben nicht geworden. Das heißt, du bist seriös. Ich habe in allen europäischen Verfassungen nachgeschaut. Sie lassen Gott aus dem Spiel, bis auf drei: die irische, die spanische – und unsere. Ist das eine Gesellschaft, Hubert?
Wir haben eine
Bundes
verfassung. Bünde werden beschworen, und zwar bei Gott.
Wir sind aber nicht mehr auf dem Rütli. Wer nicht schwören will, darf auch nur «geloben». Sogar Bundesrat wirst du ohne Schwur, dank unserer Verfassung. Dann kann sie nicht schon im ersten Satz das Gegenteil behaupten!
Was du verlangst, würde vors Volk gehören, und da hat es am wenigsten zu suchen.
Warum nicht?
Der Theologe würde sagen: weil Gott das Volk wählt, nicht umgekehrt. Der Jurist sagt: weil eine Präambel keine Gesetzesform hat. Sie ist weiche Materie.
Und was sagst
du
?
Ich enthalte mich der Stimme.
Dann bist du lau, und dein Gott wird dich ausspucken aus seinem Mund. Für mich ist Gott eine verdammt harte Materie, wenn es ihn gibt. Hoffentlich nicht, kann ich nur sagen.
Sie starrten in die Lindenkrone, die der Nachtwind fächelte; sie winkte ihnen mit tausend Blättern zu.
Du müßtest eine Volksinitiative starten und würdest haushoch verlieren. Das ginge ja noch. Aber du würdest die Sache gar nicht wiederkennen, für die du angetreten bist, und dich auch nicht – beideinen Freunden am wenigsten. Du hättest eine große Spiegelfechterei veranstaltet, und am Ende wärst du nicht nur der Böse, sondern auch der Dumme.
Glaubst du, das wüßte ich alles nicht? Dafür brauche ich keinen Advokaten. Du klagst auf Urheberschutz.
Urheberschutz? fragte Achermann verblüfft. – Wo ist da ein Urheber?
Das fragst
du
? Ich habe gerade ein mobiles Klo patentieren lassen. Das genießt Urheberschutz. Und dein Gott nicht?
Reinhold, die Klage wäre ein Witz. Sie hätte nicht den Hauch einer Chance.
Was keine Chance hat, ist darum noch kein Witz. Damit das klar ist, Hubert: Ich muß den Prozeß nicht gewinnen. Aber
anstrengen
will ich ihn.
Es geht dir nicht gut. Da tust du dir noch einen Prozeß an?
Darum.
Wenn ich noch alle Zeit der Welt hätte, könnte mir die Verfassung gestohlen bleiben. Aber die habe ich nicht. Darum will ich es noch erleben.
Daß du dich blamierst?
Daß sie die Rute spüren, die Pharisäer und Heuchler. Ich möchte mich noch einmal gut unterhalten, Hubert. Machst du den Narren für mich?
Gut, Reinhold, sagte Hubert und legte ihm den Arm um die Schulter.
Du kämpfst es durch bis zur letzten Instanz?
Versprochen, sagte Achermann. – Aber das kostet.
Meine Sache.
Und es dauert, sagte Achermann. – So lange mußt du leben.
Mit Gottes Hilfe, sagte Dörig und grinste. Er sah sich um. – Hier
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