Sax
Gewerke, die nicht zunftfähig und doch nötig waren: Chirurgen, Bader, Steinschneider, Abdecker und Henker. Auf solche Leute will die Obrigkeit ein Auge haben, aber wenn sich die Zeiten ändern, gehören plötzlich Teile der Obrigkeit selbst dazu. Heute gelten sogar Chirurgen als ehrbar. Die Rotarier hörten gewiß gern, daß der «Schwarze Garten» schon im 18. Jahrhundert eine Loge beherbergte. Waren es Aufklärer oder Illuminaten? Hinter dem ägyptisch drapierten Altar führte jedenfalls eine Tapetentür ins Nebenhaus, wo man sich geistlich verkleidete und die Nachtseite der Natur erforschte, da, wo sie sich unerschrockenen Männern am zugänglichsten offenbart: am weiblichen Geschlecht. Hier begann das Klösterchen der Äbtissin Hedwig, und für ein Freudenhaus gibt es keine bessere Deckung als ein Gespensterhaus – das heißt, wenn die echten Gespenster ausgespukt haben. Und Herr Philipp von Hohensax war ausgezogen, aus sittlicher Entrüstung oder karrierebedingt. Denn der streng reformierte Freiherr war zum katholischen Märtyrer geworden, wenn auch nur vorübergehend, und hatte dabei, bis auf eins, alle Glieder verloren, und das eine ist einem Totennichts mehr nütze. Liebe Freunde, Genossinnen und Genossen: Der Herrenwitz ist nicht der meine, mit dem der bedauernswerte Philipp von Sax behandelt wurde. Die wiederholte, wenn auch nur rhetorische Totenschändung ist das geistige Eigentum Ihres Herrn Vaters, der sich als Jungfernredner bei seinen Rotariern gewinnbringend einführte, beim Lunch im «Schwarzen Garten» und im Jahre des Herrn 1943, als draußen in Europa die Endlösung der Judenfrage so richtig in die Gänge kam. Der gedruckte Text seiner Rede vermerkt an mancher Stelle – in Klammer – «Heiterkeit», sogar «große Heiterkeit». Diesem Herrenwitz möchten wir heute abend mit dem nötigen Mutterwitz begegnen.
Fast unbeachtet war Sidonie auf den hölzernen Turm gestiegen; plötzlich stand sie in beträchtlicher, nach der Hofseite hin sogar schwindelnder Höhe straff aufgerichtet im Lichtkreuz zweier Scheinwerfer.
Heiterkeit! kommandierte Jacques.
Sidonies Füße kreuzten sich, die Hände fuhren hoch und befestigten sich in einem bizarren Winkel, während der Kopf zur Seite knickte, als würde ihr das Genick gebrochen. Dazu öffnete ihr Mund einen breiten Riß, und ihre Augen glitzerten.
Starke Heiterkeit!
Sidonies Gestalt begann zu vibrieren und dann immer heftiger zu rütteln, als stünde sie unter Strom. Ihr Gesicht verrutschte bis zur Unkenntlichkeit.
Wenn der Text Heiterkeit oder starke Heiterkeit registriert, fuhr Jacques fort, markiert sie Sidonie entsprechend. Erschreckt nicht, es ist nur, damit ihr immer wißt, wo ihr lachen könnt. Applaus für Sidonie.
Einige Hände rührten sich zaghaft.
Unser Lichtmeister, fuhr Jacques fort: Hermann Frischknecht!
Der Applaus wurde herzhafter.
Ihr Herr Vater, Leonhard Leu, versichert in seiner Rede, daß die Tapetentür nach dem Einzug der bürgerlichen Revolution zugemauert worden sei. Beide Häuser seien zur Tugend zurückgekehrt.Im «Schwarzen Garten» widmete sich eine antiquarische Gesellschaft der Volksbildung. Das Haus «zum Eisernen Zeit» aber wurde 1807 an eine ehrsame Bäckerwitwe namens Regula Horner verkauft, die es für ihren Sohn einrichtete, Caspar Horner, damals ein vielversprechender Astronom. Er hatte als Begleiter eines russischen Admirals die Welt umsegelt und sollte endlich seßhaft werden und eine Familie gründen. Das sei ihm wohl gelungen, erzählt uns Leonhard Leu, und hundert Jahre später habe sein Großvater das Haus übernommen. Inzwischen sei es ein Hort der Solidität, auch wenn man ihm, dem Redner, diese vielleicht nicht gleich ansehe. Heiterkeit. Aber seit er im Rotarier-Club aktiv geworden sei, seien Rechte und Pflichten des Spukens an seine liebe Ehefrau übergegangen. Große Heiterkeit.
Unter diesen Umständen, Herr Leu, wundern wir uns nicht, daß Ihr Vater seine flotte Rede hat drucken lassen, auf eigene Kosten. Wir fragen uns nur, warum er das Schriftchen dann wieder eingezogen hat – um fast jeden Preis. Und da wir es nun einmal mit den Verdammten dieser Erde halten und gern die Welt vom Kopf auf die Füße stellen, haben wir auch Philipp, den Freiherrn von Hohensax, zu unserem Fest geladen und bitten um seinen Segen – oder was immer –, wenn wir das Haus beziehen, das zuerst das seine gewesen ist, lange vor den Horners oder den Leus. Wenn man Heinrich Fries, die Seele der Buchhandlung Rohr,
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