Sax
vorbei.
Weißt du, was mich die rote gekostet hat? fragte Leu, am ganzen Leib zitternd.
Du brauchst eine Herausforderung, mein Lieber, sagte Schinz und tätschelte ihm die Schulter. – Die blaue Mauritius – das ist sie. Du hat keine Chance – also pack sie, wie diese jungen Leute sagen. Du wirst sehen: wenn sie ins Haus kommen, wird es hier gleich heller. Die Miete – ein Tausender für die vier Dachstübchen, paßt das? Ich lege dir noch einen dazu, für den Schreck. Überläßt du mir dafür das Porträt dieser Frau Moser? Es erinnert mich an jemanden … Morgen holt es ein Bote bei dir ab, einverstanden? Dafür lass’ ich dir die rote Victoria da, als Pfand, und du hast jetzt bitte nur noch die blaue im Kopf. Man muß nur hinter einer fremden Frau her sein, dann wird auch die eigene wieder munter. Glück auf, Peter! Du hörst von mir.
Er hatte zwei große Scheine aus der Brieftasche geblättert, steckte sich jetzt die nächste Zigarre an und winkte dem Mann adieu, der vor dem Hinterglasbildchen am grünen Tisch sitzen blieb und keiner Bewegung mehr fähig schien.
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6. September 1970. Fest
Die Mansarde war mit rot-weißen Lampions dekoriert, aber sie leuchteten noch kaum heller als der blanke Abendhimmel. Es war ein warmer September, und die Gäste saßen oder standen um neun Uhr abends in T-Shirts oder leichten Kleidern herum und blickten mit einem Glas in der Hand über die Dächer der einnachtenden Stadt. Es waren vielleicht vierzig Personen da, die Mehrzahl unter dreißig, jener Schwelle, über der, nach einem damals geläufigen Wort, keinem Menschen zu trauen ist. Aber wenn hier jemand dem Frieden nicht traute, war es Peter Leu, der in den Schweizerkreuzen auf den Lampions böse Ironie witterte. Doch Schinz senior erklärte ihm, daß die Söhne eigentlich Patrioten seien, das heißt Jakobiner, und die Bourgeois die wahren Verräter der Revolution. Da sei es doch das mindeste, ihr ein Fest zu spendieren.
Thomas Schinz, Sponsor des Abends, konnte sich Witze leisten. Er war übrigens nicht mit seiner Frau Mara erschienen, sondern hatte eine Stewardeß mitgebracht. Marybel war zierlich, hatte rotes Haar und einen kornblumenblauen Augenaufschlag, außerdem gerade ein
Sesshin
in einem Zen-Kloster hinter sich. Sie hatte mit der politischen Szene nichts zu tun und hinderte ihren Beschützer auch nicht daran, sich der Begleiterin seines Sohnes Jacques zu nähern, einer gewissen Sidonie Wirz. Hoch trug sie ihren Kopf mit der kurzen, doch üppigen dunklen Mähne, und ihre grauen Augen hielten auf Distanz, auch wenn ein schwarzes Trikot ihre schlanke Figur eindringlich zur Geltung brachte. Sie war Schauspielschülerin; offenbar war ihr in Jacques’ Abendprogramm eine Rolle zugedacht.Die übrige weibliche Jugend trug Jeans, Mini oder fußlange Kleider, die sich beim Tanzen öffneten, denn einzelne bewegten sich schon zu den Klängen, die der Hippie im Hintergrund seiner Gitarre entlockte. Mit belegter Stimme sang er Arlo Guthries nie endendes Widerstandslied und gab den Gästen Gelegenheit, in den Refrain einzufallen:
You can get anything you want/at Alice’s Restaurant
.
Solange es nicht die «Internationale» ist! dachte Peter Leu. Seine Frau Elisabeth war zu Hause geblieben, auf dieses Dach setzte sie keinen Fuß mehr. Das Schnalzen in seinem Ohr war erträglich, vielleicht, weil er es gelegentlich vergaß. Noch hielt sich der Lärm in Grenzen, aber in der nahen Umgebung gab es nach Feierabend auch kaum noch Nachbarn, die er hätte stören können. Am Eingang stand ein Wachmann; Schinz hatte ihn organisiert. Er hatte auch den Abtransport der Stilmöbel persönlich überwacht und den Einzug der jungen Advokaten begleitet. Als sie sich dem Personal vorstellten, hatten sie es gleich zum Fest eingeladen. Leu beobachtete Vera, seine Sekretärin im gelben Cocktailkleid. Schon nach zwei Tänzen sang sie die linken Lieder mit.
Am Vormittag hatte er das neue Schild am Portal inspiziert. «Achermann, Asser & Schinz, Advokaten (AAS)».
Was bedeutet «AAS»?
Association des Avocats Suisses.
Wenigstens hatten sie auf «Anwaltskollektiv» verzichtet.
Jetzt war eine Gruppe damit beschäftigt, etwas wie eine Fahne zu hissen, drei bunte Karpfen und einen geschwänzten Wimpel an einem sechs Meter langen Mast. Am Geländer ließ er sich nicht festmachen, erklärte Hermann Frischknecht, der auch zum Fest erschienen war. Das war Leu unbehaglich. Sein Vater hatte Hermanns Mutter geschwängert, die zum Putzen ins Haus
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