Schach Mit Einem Vampir
bleckte die Zähne. Unnatürlich lange Eckzähne, scharf und gefährlich, ähnlich denen eines Raubtieres, zeigten sich in seinem Mund. Speichel tropfte aus den Mundwinkeln und fiel in die Tiefe. Die Vorfreude auf das Blutmahl regte seinen Appetit an. In wenigen Momenten würde er in das Zimmer eindringen, das süße Blut der Schönen trinken und später mit einer treuen Gefährtin die Wohnung verlassen. Dann gehörte ihnen als Paar die Zukunft. Sie würden die heimlichen Herrscher der Welt sein und über Leben und Tod bestimmen. Doch das Schicksal brachte die Planung des Vampirs durcheinander. Alles sollte sich ganz anders entwickeln, als es sich das Wesen der Nacht ausgemalt hatte. Die Türklingel des Appartements läutete. Die Frau begab sich sofort an die Eingangstür, um sie zu öffnen. Der Vampir nahm wieder seine menschliche Gestalt an und zog sich weiter in den Schatten zurück. Dennoch konnte er noch alles überblicken, was in der Wohnung geschah. Sicher, wenn die Frau Besuch bekam, konnte er beide Personen spielerisch leicht überwältigen. Mit seinen überdimensionalen Körperkräften war er jedem menschlichen Wesen haushoch überlegen. Doch die Neugierde übermannte ihn und verdrängte das Verlangen nach Nahrung. Was konnte es schon schaden, noch ein paar Minuten abzuwarten, um zu sehen, was geschah? Denn er hatte es nicht eilig. Im Gegenteil, er hatte alle Zeit der Welt. Ja, auch er konnte vernichtet werden. Aber wenn er gewisse Regeln einhielt, standen ihm die Tore der Zukunft weit offen. Zu den Dingen, die er meiden musste, zählte das Sonnenlicht. Es konnte ihn in Sekunden zu Staub zerfallen lassen. Dann gab es da noch Kruzifixe, Weihwasser und fließendes Wasser, was ihm auch schaden konnte. Und er hasste den Geruch von Knoblauch. Nein, er verabscheute das Gewächs. Und letztendlich musste er sich davor hüten, dass ihm ein spitzer Gegenstand das Herz durchbohrte. Denn das bedeutete ebenfalls sein existenzielles Ende. Ansonsten hatte er nichts und niemanden auf dieser Welt zu fürchten. Schon gar nicht die Menschheit. Menschen – bisher hatte er sie immer nur als Nahrungsquelle angesehen. Er liebte seine Einsamkeit und als Vampir natürlich die Finsternis der Nacht. Nichts störte ihn, wenn er durch die Dunkelheit zog. Die Nacht gehörte ihm allein. Deshalb hatte er sich nie Gefährten erschaffen. Dass der Vampirismus in seinen Opfern aufkeimte, verhinderte er dadurch, indem er ihnen die Herzen aus ihren Körpern schnitt. Doch nun, nachdem er dieses anbetungswürdige Geschöpf gefunden hatte, dachte er anders über das Alleinsein. Er wollte sie unbedingt. Und er würde sie bekommen! Wer sollte es auch verhindern?
Die Frau kehrte mit ihrem Besuch in das Wohnzimmer zurück. Ein Mann, sportlich, kräftig, mit einem gut geschnittenen Gesicht, begleitete sie. Der unheimliche Beobachter konnte jedes ihrer Worte von seiner Position aus verstehen. Er sah, wie seine Angebetete den Fremden freudig umarmte. Seine in ihm aufkeimende Eifersucht legte sich jedoch schnell wieder, denn der Besucher war offensichtlich nicht ihr Freund. Anhand des Gesprächsverlaufs stellte sich heraus, dass er Privatdetektiv war und sie ihn ganz offensichtlich engagiert hatte. Der Detektiv sollte den Mörder ihres Bruders finden. Der Anflug eines boshaften Grinsens umspielte den Mund der Kreatur.
Wusste dieser Narr denn nicht, auf was er sich mit seiner Zusage einließ? , ging es dem Vampir spottend durch den Kopf. In der dunklen Vergangenheit hatten nicht einmal drei Menschen versucht, ihn zu stellen, doch alle waren aufgrund ihrer unterlegenen körperlichen Voraussetzungen gescheitert. Der Vampir hatte den Spieß umgedreht. Er löschte sie aus, trank ihr Blut zur Sättigung und existierte weiter. Dieses Aufeinandertreffen mit seinen Jägern fand bereits im finsteren Mittelalter statt. Er hatte es schon fast aus seinem Gedächtnis verdrängt, doch die Situation ließ die Erinnerungen wieder emporsteigen. Und die modernen Menschen von heute? Selbst unter der Hinzuziehung der aktuellsten Errungenschaften der Kriminaltechnik waren die Ermittler nicht dazu fähig gewesen, ihm auf die Schliche zu kommen. Und das, obwohl er schon seit langer Zeit gesetzte Spuren an den Tatorten hinterließ. Wieso sollte es also dieser kleine Privatdetektiv vermögen, woran viele seiner Gattung schon gescheitert waren? Der Vampir verfolgte gespannt das Gespräch der beiden weiter. Neugierde überfiel ihn. Offenbar hatte der Detektiv noch einen Partner.
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