Schach Mit Einem Vampir
voran, so stieß der Unbekannte nirgendwo an den Wänden an. Die Laufgeräusche wurden rasch lauter, näherten sich zügig. Der Detektiv schätzte nun die Entfernung der unbekannten Person, bis zu seinem Standpunkt, auf zehn Meter Distanz ein. Der Fremde schien keine Ahnung davon zu haben, dass sich noch jemand in dem dunklen Gang aufhielt. Denn er lief unbeirrt im selben Tempo weiter, hielt nicht an. Das tat er erst, als Fraizer ihm im Befehlston zurief: „Bleiben Sie stehen und heben Sie Ihre Hände hoch!“ Noch während Fraizer diese Worte aussprach, schaltete er die Lampe ein und richtete den Strahl nach vorn, wo er den Unbekannten vermutete. Gleichzeitig hob er die Schusswaffe empor und zielte in die Leuchtrichtung. Das Licht riss die Umrisse eines Mannes aus der Finsternis. Der Fremde blieb abrupt stehen und kniff durch die Blendung die Augenlider zusammen.
Also kein Blinder. Aber wie zum Teufel … Einen Moment lang herrschte Schweigen. Der Detektiv glaubte, nur seinen rasenden Herzschlag zu hören. Fraizer überlegte, ob es sich bei der Person vor ihm um den Schachspieler handelte. Um den Mörder seines Partners. Gerade wollte er den Unbekannten ansprechen, als der Fremde ihm zuvorkam.
„Guten Morgen, Mister Fraizer.“ Diese unerwarteten Worte ließen den Privatermittler erschaudern. Woher kannte dieser Mistkerl nur seinen Namen? Der Sprecher trat einige Schritte näher. Nun strahlte das Licht die Konturen des Mannes vollständig aus. Er war groß gewachsen. Ungefähr so groß wie Fraizer und sehr kräftig. Er zeigte eine aufrechte, selbstbewusste Haltung. Sein Gesichtsausdruck, von dem schwarzen, dichten Haar eingefasst, wirkte hart und ausdruckslos. Das Gesicht war kantig und ebenmäßig geschnitten. Man konnte ihn als gut aussehend bezeichnen, wären da nicht zwei bösartig funkelnde Augen gewesen. Sein Alter schätzte Fraizer auf Anfang vierzig. Doch die kalten Augen des Fremden schienen ein uraltes Wissen zu beherbergen. Nein, da war noch mehr in ihnen. Wissen, Verachtung und Gleichgültigkeit sowie Überlegenheit spiegelten sich in ihnen wider. Aber auch Zorn und Hass.
„Woher … woher kennen Sie meinen Namen?“, stammelte Fraizer irritiert und mit brüchiger Stimme. Er war immer noch überrascht darüber, dass sich der Fremde scheinbar über seine Identität im Klaren war.
„Woher kenne ich Ihren Namen? Ach Steve, natürlich kenne ich Sie. Wären Sie denn sonst hier?“ Die Stimme war dunkel und kräftig und vollkommen emotionslos. Wieder machte der Mann einen Schritt auf den Privatermittler zu.
„Bleiben Sie endlich stehen oder ich schieße!“, drohte Fraizer. Der Mann gehorchte. Doch schien er nicht von der Bedrohung durch die Waffe davon abgehalten worden zu sein. Er handelte vielmehr aus freien Stücken. Er wollte ganz einfach stehen bleiben!
„Wollen Sie nicht dieses nutzlose, alberne Spielzeug beiseitelegen, Steve? Wir sollten miteinander reden und uns einander nicht bedrohen. Sie sind ein intelligenter, mutiger Mann, sonst wären Sie jetzt nicht hier. Solch primitives Gebaren steht Ihnen nicht gut zu Gesicht. Steve, Sie wirken auf mich mit dieser dümmlichen Waffe in der Hand wie ein primitiver Höhlenmensch.“ Fraizer war verwirrt. Die Gleichgültigkeit, mit der der Fremde die Bedrohung durch die Schusswaffe seines Gegenübers hinnahm, war erschreckend. War dieser Mensch ein Wahnsinniger? Für Fraizer stand fest: Ja, er war vollkommen verrückt. Und ja, er musste der Schachspieler sein! Doch was immer dieser Mensch ihm auch vorspielen wollte, sodass er sich in Sicherheit wog, er würde ganz bestimmt nicht seine Waffe aus der Hand legen und sich schutzlos diesem Irren preisgeben. Denn er wollte garantiert nicht wie Ray enden. Eher würde er diesen kranken Mistkerl einfach über den Haufen schießen.
„Wer sind Sie? Nennen Sie mir Ihren Namen!“, forderte der Detektiv ihn nachhaltig auf.
„Wer ich bin, Steve? Jetzt enttäuschen Sie mich aber. Und Namen sind doch nur Schall und Rauch. Doch, erinnern Sie sich nicht? Wir hatten so viel Spaß zusammen. Besinnen Sie sich auf unsere Begegnung in Harlem, Steve. Wie wir gemeinsam diese schwarzen Schläger überwältigten ... Geben Sie es zu, es hat Ihnen viel Freude bereitet. Und Ihr Partner, so hatte ich auch den Eindruck, hat Sie doch genervt? Geben Sie es ruhig zu … Wir sind hier ganz unter uns. War er als Gegner beim Schach nicht immer unter Ihrem Niveau? Das Spielen mit ihm war doch keine Herausforderung für einen wie Sie.
Weitere Kostenlose Bücher