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Schadensersatz

Schadensersatz

Titel: Schadensersatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Cognac. Auch Ralph war ein wenig nervös, eine Tatsache, die mir half, mich zu entspannen. Plötzlich erhellten sich seine Züge, er grinste und sagte: »Nach meiner Scheidung zog ich ins Zentrum, weil ich mir ausmalte, dass man dort jede Menge Bienen kennen lernen könnte - Frauen, meine ich. Aber um die Wahrheit zu sagen, Sie sind die erste, mit der ich mich in den letzten sechs Monaten verabredet habe; und Sie sind völlig verschieden von allen Frauen, die ich bisher kannte.« Er wurde ein bisschen rot. »Ich wollte Ihnen damit nur sagen, dass ich mich nicht jede Nacht in einem anderen Bett herumtreibe. Mit Ihnen würde ich allerdings sehr gern ins Bett gehen.«
    Ich gab ihm keine Antwort, sondern stand auf und nahm ihn an der Hand. Hand in Hand, wie die Fünfjährigen, gingen wir hinüber ins Schlafzimmer. Ralph half mir behutsam aus dem Kleid und streichelte meine geschwollenen Arme. Ich knöpfte ihm das Hemd auf. Er zog sich aus, und schon waren wir im Bett.
    Eigentlich hatte ich befürchtet, erst Schützenhilfe leisten zu müssen; frisch geschiedene Männer haben manchmal Probleme - sie fühlen sich so verunsichert. Er glücklicherweise nicht. Ich war ohnedies viel zu müde, um irgendjemandem irgendwelche Hilfe zu leisten. Als letzte Wahrnehmung vor dem Einschlafen blieb mir sein heftiges Atmen in Erinnerung.
    7

Freunde in der Not
    Als ich erwachte, war das Zimmer erfüllt von dem sanften Licht des späten Vormittags, das gedämpft durch meine dichten Schlafzimmergardinen drang. Ich befand mich allein im Bett und lag unbeweglich, um meine Gedanken zu ordnen. Allmählich kehrte die Erinnerung an die Ereignisse des gestrigen Tages zurück. Ich bewegte vorsichtig den Kopf, um auf den Wecker zu schauen. Mein Hals war völlig steif, und ich musste meinen ganzen Körper herumdrehen, um die Uhrzeit zu erkennen: halb zwölf. Ich setzte mich auf.
    Die Bauchmuskeln waren in Ordnung, aber Ober- und Unterschenkel taten weh, und das Aufstehen war äußerst schmerzhaft. Langsam schlurfte ich ins Bad, wobei ich mir vorkam wie am Tag nach einem Zehn-Kilometer-Lauf, absolviert nach einer Trainingspause von mehreren Monaten. Ich drehte den Heißwasserhahn voll auf.
    Ralph rief mir aus dem Wohnzimmer etwas zu. »Guten Morgen!«, rief ich zurück. »Wenn du mit mir reden möchtest, musst du hierher kommen - ich mache keinen Schritt weiter!« Ralph betrat fertig gekleidet das Bad und postierte sich neben mich, während ich mein Gesicht trübselig im Spiegel über dem Waschbecken betrachtete. Mein vordem nur leicht getöntes blaues Auge hatte eine dunkelviolette, schwärzliche Färbung angenommen, gesprenkelt mit Gelb und Grün. Mein unverletztes linkes Auge war blutunterlaufen. Der Kiefer hatte sich grau verfärbt. Das Ganze machte einen sehr unattraktiven Eindruck.
    Ralph schien meine Ansicht zu teilen. Ich beobachtete sein Gesicht im Spiegel; er sah leicht angewidert aus. Ganz ohne Frage war Dorothy niemals mit einem blauen Auge nach Hause gekommen - wie langweilig war doch das Leben in den Vorstädten!
    »Machst du so etwas öfter?«, fragte Ralph.
    »Du meinst, meinen Körper eingehend studieren?« fragte ich zurück.
    Er machte eine vage Handbewegung. »Dich prügeln«, sagte er lakonisch.
    »Nicht mehr so häufig wie als Kind. Ich bin an der South Side aufgewachsen. Neunzigste Straße und Commercial Street, falls du die Gegend kennst: jede Menge polnischer Stahlarbeiter, die die neuen Volksgruppen nicht gerade mit offenen Armen empfingen. Die Abneigung war gegenseitig. Bei mir in der High School herrschten die Gesetze des Dschungels. Wenn man Füße und Fäuste nicht entsprechend gebrauchen konnte, stand man auf verlorenem Posten.«
    Ich wandte mich vom Spiegel weg. Ralph schüttelte den Kopf, aber er bemühte sich, zu verstehen und nicht gleich einen Rückzieher zu machen. »Es ist eine ganz andere Welt«, sagte er langsam. »Ich bin in Libertyville groß geworden, und ich entsinne mich nicht, jemals in eine Rauferei verwickelt gewesen zu sein. Wenn meine Schwester mit einem blauen Auge heimgekommen wäre, hätte meine Mutter einen Monat lang hysterische Anfälle gekriegt. Hat das deinen Leuten nichts ausgemacht?«
    »O doch! Meine Mutter fand es abscheulich, doch sie starb, als ich fünfzehn war, und mein Vater war dankbar, dass ich allein zurechtkam.« Es stimmte. Gabriella hatte jegliche Gewalt verabscheut. Trotzdem war sie eine Kämpferin, und meine Kämpfernatur verdanke ich ihr, nicht meinem stattlichen und stets

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