Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schadensersatz

Schadensersatz

Titel: Schadensersatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
zwanzig Jahren mein Lebensinhalt. Zehn Tage lang musste ich damit rechnen, dass ich beides verloren hatte. Nun bist du wieder da. Auf die Gewerkschaft werde ich sowieso verzichten müssen; soll ich jetzt auch ohne dich leben?«
    Auf dem Bildschirm im Hintergrund richtete eine blödsinnig grinsende Frau einen Appell an das Zimmer, ein bestimmtes Haarwaschmittel zu kaufen. Anita starrte ihren Vater an. »Es wird nie mehr sein wie früher
    - unser Leben, meine ich. Das Fundament existiert nicht mehr.«
    »Sieh mich an, Annie«, bat er mit rauer Stimme. »Ich habe zehn Tage weder gegessen noch geschlafen. Ich habe vor dem Fernseher gesessen und war ständig darauf gefasst, in den Nachrichten zu hören, dass man irgendwo deine Leiche gefunden hat ... Ich habe die Warshawski beauftragt, nach dir zu suchen, als ich noch glaubte, Masters abhängen zu können. Als sie mir jedoch unmissverständlich zu verstehen gaben, dass sie dich umbringen würden, wenn sie dich erwischten, musste ich die Suche abblasen.«
    Er sah zu mir herüber. »Sie hatten Recht - in fast allen Punkten. Thayers Visitenkarte habe ich benutzt, um Sie auf die falsche Fährte zu locken. Das war blöd von mir. Alles, was ich in dieser letzten Woche getan habe, war idiotisch. Als ich erkannt hatte, dass Annie in Gefahr war, habe ich den Kopf verloren und nur noch Mist gebaut. Ich war nicht einmal sauer auf Sie; ich hoffte einfach nur inständig, dass Sie aufgeben würden, bevor Sie Annie gefunden hatten. Ich wusste ja, dass Earl Ihnen nachspionierte und Sie ihn geradewegs zu ihr führen würden.«
    Ich nickte.
    »Wahrscheinlich hätte ich mich nie mit Gangstern einlassen sollen«, sagte er zu Anita. »Doch die Anfänge liegen so weit zurück. Du warst noch nicht einmal geboren. Macht man einmal mit diesen Burschen gemeinsame Sache, dann kommt man nicht mehr von ihnen los. Die Scherenschleifer-Gewerkschaft war damals ein ziemlich rauer Haufen. Wenn du meinst, wir seien auch jetzt noch ziemlich übel, dann hättest du uns zu jener Zeit sehen sollen ... Die Großindustriellen heuerten Rowdys an, die unsere Leute aus dem Wege räumen und ihnen die Gewerkschaften vom Halse schaffen sollten. Und wir haben Gangster angeheuert, um unsere Position zu festigen. Als uns das gelungen war, blieben uns jedoch die Gangster auf den Fersen. Hätte ich mich aus diesem Teufelskreis lösen wollen, so wäre mir nichts anderes übrig geblieben, als mich von den Scherenschleifern zu trennen. Und das brachte ich nicht fertig. Mit fünfzehn war ich im Betriebsrat. Deine Mutter lernte ich als Vertreter für die Besteckfirma Western Springs kennen; sie - fast noch Kind - montierte Scheren. Die Gewerkschaft war mein Leben. Und Typen wie Smeissen gehörten als schmutzige Hypothek dazu.«
    »Aber du hast die Gewerkschaft verraten. Du hast damit begonnen, als du anfingst, mit Masters gemeinsame Sache zu machen und diese betrügerischen Schadenersatzansprüche zu stellen.« Anita war den Tränen nahe.
    »Ja, da hast du Recht.« Er fuhr sich durch die Haare. »Das war vermutlich das Hirnverbrannteste, was ich je getan habe. Er hat mich eines Tages in Comiskey Park angesprochen. Jemand hatte ihn auf mich aufmerksam gemacht. Anscheinend hatte er bereits seit Jahren nach einem Mittelsmann Ausschau gehalten, der die Ansprüche geltend machte. Sein Plan war fix und fertig.
    Ich sah nur das Geld. Für alles andere war ich blind. Hätte ich nur die Folgen bedacht ... Weißt du, es ist wie in der Geschichte, die ich einmal hörte: Irgendein Kerl - ein Grieche, meines Wissens - war so geldgierig, dass er von den Göttern eine Gnade erflehte: Alles, was er anfasste, sollte sich in Gold verwandeln. Der Haken bei der Sache ist nur, dass einem die Götter meistens ein Schnippchen schlagen; sie gewähren dir stets, was du verlangst - nur wenn du es dann hast, stellst du fest, dass du der Gelackmeierte bist. Also, diesem Griechen ging es ähnlich wie mir, auch er dachte nicht an die Folgen. Er hatte eine Tochter, die ihm mehr bedeutete als sein Leben. Und als er sie berührte, wurde sie zu Gold - wie alles Übrige. Genauso ist es mir ergangen.«
    »Das war König Midas«, warf ich ein. »Doch er zeigte Reue, sodass ihm die Götter vergaben und seine Tochter wieder zum Leben erweckten.«
    Anita sah ihren Vater zweifelnd an. Er wich dem Blick nicht aus, in seinen groben Zügen stand eine flehentliche Bitte.
    Ich stahl mich davon. Murray wartete noch auf seine Story.

Weitere Kostenlose Bücher