Schadensersatz
»Ich weiß. Aber - ich bin eine gute Detektivin und habe mir inzwischen einen Namen gemacht. Und im Übrigen ist es kein Beruf, der sich leicht mit einer Ehe unter einen Hut bringen lässt. Mein voller Einsatz wird zwar nicht immer verlangt, doch wenn ich einer Sache auf der Spur bin, möchte ich mich nicht von dem Gedanken ablenken lassen, dass jemand wutschäumend zu Hause sitzt und nicht weiß, was er zu Abend essen soll. Oder sich verrückt macht, weil mich ein Earl Smeissen zusammengeschlagen hat.«
Ralph sah auf seinen leeren Teller nieder und nickte gedankenverloren. »Ja, ich verstehe.« Er grinste. »Natürlich könnte dir auch ein Kerl über den Weg laufen, der die Vorort- und Kindernummer schon hinter sich gebracht hat und der dann deine Erfolge aus dem Hintergrund beklatscht.«
Tim kam, um unsere Bestellungen für den Nachtisch entgegenzunehmen. Ich nahm Ahabs einzigartige Eiscremekomposition. Schließlich hatte ich meinen Fisch nicht aufgegessen, und im Übrigen hing mir die ganze Kaloriensparerei sowieso zum Halse heraus. Ralph bestellte das Gleiche.
Nachdem Tim den Tisch verlassen hatte, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf. »Meines Erachtens braucht man aber eine ganze Weile, um sich an solche Sachen wie die mit Earl Smeissen zu gewöhnen.«
»Ist denn die Bearbeitung von Versicherungsansprüchen völlig ungefährlich?«, fragte ich ihn. »Ich könnte mir vorstellen, dass du es bisweilen mit Leuten zu tun hast, die in betrügerischer Absicht Ansprüche stellen und nicht allzu begeistert sind, wenn ihre Machenschaften entdeckt werden.«
»Das stimmt«, gab er zu. »Allerdings ist es schwieriger, als du glaubst, einen versuchten Betrug aufzudecken. Besonders bei Unfällen. Es gibt jede Menge korrupter Ärzte, die gern Verletzungen attestieren, die sich nicht beweisen lassen - zum Beispiel eine Stauchung der Wirbelsäule, die sich durch eine Röntgenaufnahme nicht feststellen lässt und die dafür einen Teil der Entschädigung einstreichen.
Ich bin noch niemals in Gefahr gewesen. Gewöhnlich läuft das so ab: Wenn du weißt, dass es sich um einen unrechtmäßi gen Anspruch handelt, und die Gegenseite sich im Klaren ist, dass du es weißt, ohne es jedoch beweisen zu können, bietest du eine Abfindung an, die beträchtlich unter der Summe liegt, die bei einer eventuellen gerichtlichen Auseinandersetzung zur Debatte stünde. Damit hält man sie sich vom Leib, denn Streitfälle erweisen sich in der Regel für die Versicherungsgesellschaften als äußerst kostspielig, weil die Richter fast immer zu Gunsten der Anspruchsteller entscheiden. Das Ganze ist also nicht so haarsträubend, wie es klingt.«
»Wie oft kommt so etwas vor?«, fragte ich.
»Na, jeder ist der Meinung, Versicherungen seien Selbstbe dienungsläden. Die Leute verstehen nicht, dass sich das im Endeffekt in höheren Beiträgen niederschlägt. Aber wie oft wir nun tat sächlich reingelegt werden, könnte ich gar nicht sagen. noch im Außendienst gearbeitet habe, schätzte ich, dass ungefähr jeder zwanzigste bis dreißigste Anspruch nicht gerechtfertigt war. Allerdings hat man mit so vielen Fällen zu tun, dass es ungeheuer kompliziert ist, jeden einzelnen genau zu beurteilen - man konzentriert sich vorwiegend auf die größeren.«
Tim hatte inzwischen den Eisbecher gebracht, der sündhaft gut schmeckte. Ich kratzte auch noch das letzte Restchen aus meiner Schale. »Neulich habe ich eine Zahlungsanweisung auf dem Fußboden gefunden- von der Ajax. Es war ein Durchschlag. Ich habe mich gefragt, ob sie wohl echt sei.«
»Tatsächlich?« Ralph war erstaunt. »Wo hast du sie gefunden? In deiner Wohnung?«
»Nein. Beim jungen Thayer.«
»Hast du sie hier? Ich möchte sie gern mal sehen.«
Ich hob meine Tasche vom Fußboden auf, holte das Dokument aus dem Reißverschluss-Seitenfach und reichte es ihm hinüber. Er studierte es aufmerksam. Schließlich meinte er: »Das scheint wirklich von uns zu sein. Es ist mir schleierhaft, was der Junge zu Hause damit wollte. Entschädigungsakten dürfen nämlich nicht mit nach Hause genommen werden.«
Er legte das Papier zusammen und steckte es in seine Brieftasche. »Das gehört ins Büro.«
Ich war keineswegs überrascht, sondern nur erfreut, dass ich so umsichtig gewesen war, Fotokopien davon anzufertigen. »Kennst du den Anspruchsteller?«, fragte ich.
Er zog das Formular noch einmal hervor und sah sich den Namen an. »Nein, ich kann den Namen nicht mal aussprechen. Aber es handelt sich um
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