Schadrach im Feuerofen
Sein Geschick wird sich bald erfüllen, es sei denn, der Revolutionsrat, dem die diesbezüglichen Pläne seines Vorsitzenden nicht bekannt sind, widersetzt sich dem Vorhaben. Das kann angesichts der herrschenden Rivalitäten und persönlichen Ambitionen innerhalb des Revolutionsrates jedoch keineswegs als gesichert gelten.
Schadrach lauscht in fröstelnder Faszination ihrem Bericht. Sie haben das Stadium erreicht, wo sie die Verhaltensweisen von Tieren verschlüsseln können, indem sie die charakteristischen Muster der Gehirntätigkeit aufzeichnen und in Zahlenkombinationen umsetzen, mit deren Hilfe ein Computer die elektrischen Muster auf die Gehirne von Spendertieren überträgt. So haben sie das Verhalten eines Hahns aufgezeichnet und auf das zuvor neutralisierte Gehirn eines Mäusebussards übertragen; dieser fliegt nun nicht mehr, sondern läuft im Hühnerstall herum, versucht den Hahnenschrei nachzuahmen, flattert unbeholfen mit den großartigen Schwingen und bespringt die entsetzten Hennen. Sie haben die Persönlichkeit eines Gibbon aufgezeichnet und auf einen Gorilla übertragen, der nun zu einem Baumbewohner geworden ist und in wilder Raserei durch die Baumkronen hangelt, während seine frühere Gorillapersönlichkeit nun in der Gestalt des Gibbon wohnt, der sich, auf die Fingerknöchel gestützt, bedächtig am Boden dahinbewegt und auf den schmächtigen Brustkorb trommelt, wenn er in Zorn gerät. Und so weiter; Nicki erzählt ihm, daß sie sich auf die ersten menschlichen Bewußtseinsübertragungen vorbereiten, mit denen In einigen Wochen begonnen werden könne.
Schadrach fragt nicht, wo sie ihre Versuchspersonen hernehmen will. Im Dienst des Vorsitzenden gerät man mit verwirrenden ethischen Problemen in Konflikt, und er zieht es vor, sein Gewissen nicht mit den Taten der Geliebten zu belasten.
»Ruf mich an, wenn die Operation beendet ist«, sagt Nicki Crowfoot.
»Wird euch das nicht bei den kritischen Versuchen stören?«
»So kritisch sind sie nicht. Ruf ruhig an. Also, bis heute Abend.«
»Ja, bis heute Abend«, sagt Schadrach und unterbricht die Verbindung. Es ist acht Uhr fünfundfünfzig. Er muß den Vorsitzenden zum Operationsraum geleiten.
4
Die Leber, größte Drüse des Körpers, ist ein nützliches und kompliziertes Organ, das eineinhalb Kilogramm wiegt – ungefähr zwei Prozent des Körpergewichts – und Hunderte von wichtigen biochemischen Funktionen ausführt. Die Leber erzeugt Galle, eine grünliche, für die Verdauung wichtige Flüssigkeit. Sie filtriert Bakterien, Gifte, Drogen und andere schädliche Verunreinigungen aus dem venösen Blut und fügt ihm Plasmaproteine hinzu, die sie erzeugt, darunter das Gerinnungsmittel Fibrinogen und das Antikoagulat Heparin. Ferner scheidet sie Zucker aus dem Blut ab, wandelt ihn in Glykogen um und speichert dieses, bis es vom Energiebedarf des Körpers aufgezehrt wird. Schließlich ist die Leber auch für die Umwandlung von Fetten und Proteinen in Kohlehydrate, die Speicherung von fettlöslichen Vitaminen, die Erzeugung von Antikörpern, den Abbau abgenutzter roter Blutkörperchen und vieles andere verantwortlich.
So viele Stoffwechselfunktionen erfüllt die Leber, daß kein Wirbeltier länger als ein paar Stunden ohne sie überleben kann. Sie ist für das Leben von so zentraler Bedeutung, daß sie außerordentliche Regenerativkräfte besitzt: werden drei Viertel der Leber entfernt, so vermehren sich die verbleibenden Zellen so rasch, daß das Organ innerhalb von zwei Monaten seine ursprünglichen Dimensionen wieder erreicht. Selbst wenn neunzig Prozent der Leber zerstört werden, fährt sie fort, im normalen Umfang Galle zu erzeugen. Dennoch gibt es viele Fehlfunktionen der Leber – die verschiedenen Formen der Gelbsucht, Nekrosen, Sepsis, dysenterische Abszesse, Krebs und so weiter. Vielseitigkeit und Lebenskraft der Leber befähigen sie, selbst bei chronischen Erkrankungen noch lange ihren Dienst zu tun, aber mit dem Alter beginnt ihre Erholungsfähigkeit zu schwinden.
Der Vorsitzende leidet an chronischen Leberbeschwerden. Um Frische und Arbeitsfähigkeit zu erhalten und die Arbeit der künstlichen und verpflanzten Organe in ihm zu unterstützen, muß er täglich die verschiedensten Medikamente einnehmen, und selbst die widerstandsfähigste Leber wird durch die ständigen Angriffe hochwirksamer Chemikalien, die sie aus dem Blutkreislauf filtrieren muß, im Laufe der Zeit überfordert. Auch führt das Vorhandensein von so vielen
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