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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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abpumpt und durch die Dialysefilter drückt. Zur Rechten wartet die neue Leber, die seit ihrer Entnahme vom Spender in einer geeisten Salzlösung gelagert worden ist und nun von warmer Flüssigkeit auf Körpertemperatur gebracht wird. Warhaftig überprüft ein letztes Mal sein Laser-Schneidgerät, dann setzt er es an, und der feine, blendende Lichtstrahl schneidet eine dünne rote Linie in den Unterleib des Patienten, der völlig bewegungslos bleibt. Der Chirurg wirft dem Leibarzt einen fragenden Blick zu. Schadrach nickt.
    Warhaftig schneidet mit geschickten, energischen Bewegungen tiefer. Während eines jeden Schnitts bringt ein Assistenzarzt Stahlklammern an, mit denen die Wundränder auseinandergezogen werden. Der Vorsitzende verfolgt die Anfangsphasen mit angespannter Aufmerksamkeit, ohne den Chirurgen mit Fragen zu behelligen. Doch als seine inneren Organe bloßgelegt werden, wendet er den Kopf ab und starrt zur Decke empor. Vielleicht findet er den Anblick seiner Eingeweide erschreckend oder abstoßend, aber vielleicht ist er nur gelangweilt, nachdem er so viele Male aufgeschnitten worden ist.
    Nun ist die dunkle, kranke Leber sichtbar, schwer, schwammig, fleckig. Warhaftig klemmt mit geschickten Fingern die Arterien und Venen ab, dann durchschneidet sein Laserskalpell die Pfortader, die Leberarterie, die untere vena cava, das ligamentun teres, und den Gallenleiter. »Das war’s«, murmelt er und hebt des Vorsitzenden dritte Leber aus der Bauchhöhle. Die vierte wartet in unmittelbarer Nähe, groß, plump und gesund.
    Nun beginnt der schwierigste Teil der Operation. Jeder Metzger kann einen Einschnitt machen, aber nur ein Künstler kann Adern vernähen. Warhaftig verwendet dazu ein anderes Lasergerät, eines, das verschweißt, statt zu schneiden. Langsam und sorgfältig, ohne Zeichen von Ermüdung oder Nervosität zu zeigen, schließt er die stillgelegten Arterien, die Venen und den Gallenleiter an die neue Leber an. Der Patient liegt schlaff da, beinahe wie in Vollnarkose, die Augen glasig, mit halboffenem Mund. Schadrach hat diese Reaktion schon des öfteren gesehen und versteht sie gut; sie ist weder ein Anzeichen von Erschöpfung noch von Schock, sondern nicht mehr als eine Art Yogaübung, mit deren Hilfe der Vorsitzende sich von der langwierigen und nervenbeanspruchenden Operation ablöst. Seine Funktionssignale kommen noch immer gleichmäßig und unvermindert, wobei im Enzephalogramm der Alpharhythmus vorherrscht.
    Warhaftig arbeitet unablässig. Die neue Leber ist angeschlossen. Der Puls des Patienten steigt und muß berichtigt werden, aber das ist eine Erscheinung, die nicht unerwartet kommt. Nachdem er die neue Leber in der Bauchhöhle untergebracht hat, gewissenhaft und bedächtig, fügt der Chirurg Bauchfell, Muskelschichten und Haut wieder zusammen. Die Nähte sind makellos und werden nur minimale Narben zurücklassen. Nun ist die Bauchdecke geschlossen. Warhaftig tritt zurück, kühl und selbstzufrieden, und wirft einen letzten Blick auf die Ablesungen der Körperfunktionen, bevor er sich abwendet. Die Verpflanzung hat genau fünf Stunden in Anspruch genommen. Schadrach beugt sich vorwärts, um das Gesicht des alten Mannes zu betrachten. Er scheint zu schlafen; die Gesichtsmuskeln sind entspannt, die Augen ruhen, die schmächtige Brust hebt und senkt sich gleichmäßig.
    Aber nein, Schadrachs Schatten scheint dem Bewußtsein des Patienten nicht entgangen zu sein, denn die dünnen Lippen verziehen sich zu einem frostigen Lächeln; das linke Auge öffnet sich und zwinkert ihm unverkennbar zu.
    »Nun, damit hätten wir wieder eine überstanden«, sagt Dschingis Kahn II. Mao mit klarer Stimme.
     

5
    Am frühen Abend, nachdem die Tagesarbeit getan ist und er sich seiner hippokratischen Pflichten entledigt hat, geht es ab nach Karakorum, dem Vergnügungspark des Volkes, der jedoch längst zum Amüsierzentrum für privilegierte Funktionäre aus Regierung und Partei geworden ist.
    Schadrach holt Nicki Crowfoot drei Stunden nach der Operation in ihrem Laboratorium ab, das in einem Anbau eines Regierungspalastes untergebracht ist. Es ist ein weitläufiger Raum mit grün gestrichenen Wänden und voller Käfige mit unglücklichen Versuchstieren, der Alptraum eines Zoo, mit verrückt gewordenen Tieren, krähenden Bussarden, miauenden Hunden und schwanzwedelnden Katzen. Wo keine Käfige sind, breiten sich Labortische, Regale mit Unmengen von Reagenzgläsern und Flaschen aus, elektronische Geräte und

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