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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Schmerz. Diese Augen betrachteten Jorry. Nur einmal warf er mir einen fassungslosen Blick zu. Dann wanderten seine Augen zurück zu Jorry, und als er schließlich das Wort ergriff, galt es meinem Sohn und nicht mir.
    »Wie alt bist du, Junge?«
    Aber ich hatte für diese Möglichkeit vorgesorgt, schon seit Jahren vorgesorgt. »Acht«, antwortete Jorry. Aus seiner Stimme klang etwas von seiner Furcht gegenüber diesem mächtigen und prachtvoll gekleideten Mann, der ihn so eingehend ansah, doch keinerlei Unsicherheit bezüglich der Frage. Er glaubte, daß er acht war, weil ich es ihm so beigebracht hatte.
    Nur ich wußte, daß er in Wirklichkeit neun war.
    Brant starrte Jorry weiter an. Jorry war zierlich wie ich und sah aus wie ich: glattes, braunes Haar und braune Augen.
    »Also nicht meiner«, konstatierte Brant, und hinter seiner harten Stimme hörte ich den Stich eines alten Schmerzes und wappnete mich für die Lüge.
    »Nein.«
    »Wie bist du hierhergekommen, Fia?«
    »Mit der Handelskarawane. Vor fünf Tagen.«
    »Wozu?«
    »Zum Geschichtenspielen.«
    »Nein«, sagte er und trat quer durch den Raum rasch auf mich zu. Das hatte ich vergessen: wie schnell Brant sich bewegte. Ich zerrte Jorry hinter mich, obwohl ich wußte, daß Brant, wie erzürnt er auch sein mochte, keinen von uns beiden jemals schlagen würde. Er war immer zu empfindsam für Gewalttätigkeiten gegen Unbewaffnete gewesen.
    »Nein«, wiederholte er. »Du bist nicht hierhergekommen, um Geschichten zu spielen. Das hier ist viel zu abgelegen, als daß eine umherziehende Geschichtenspielerin zufällig darauf stieße, sofern sie nicht irgend etwas sucht oder irgend etwas aus dem Wege geht. Was von beidem, Fia?«
    Ich blickte benommen drein und wollte auf keinen Fall mehr sagen, als ich mußte. Er hatte gleichzeitig recht und unrecht. Aus dem Wege gegangen war ich an einem Ort wie Veliano Brant selbst, aber nicht, weil ich geglaubt hätte, ihn jemals wiederzusehen. Aus-dem-Weg-Gehen, Fliehen – das waren meine Existenzbedingungen seit jenem Winter vor zehn Jahren bei Mutter Arcoa, und sie waren inzwischen zu meinem Lebensstil geworden: Ich habe als freie Frau gelebt, indem ich die meiste Zeit über unterwegs, ungebunden und den Reichen und Mächtigen unbekannt geblieben bin außer als Geschichtenspielerin, die für einen Abend oder eine Zeitlang auftritt, um Erzählungen darzustellen und schon wieder aus ihren Schlössern verschwunden ist, ehe sie sie recht kennen. Aber Brant war ich nicht unbekannt. In seinen reichen Gewändern – er, den ich nur in fadenscheinigem Wollzeug wie meinem eigenen gekannt hatte – stand er hoch über Jorry und mir aufgebaut, und ich nahm die Gerüche von Pferden und schwerem Wein wahr. Das letzte Licht vom Fenster her blitzte auf seinem Dolch und auf der Spange an seiner Schulter, einer reich mit den blutroten Velianosteinen besetzten Spange, unter der sich die Muskeln seines Körpers als harte Masse abzeichneten.
    Ich hatte diesen Körper gekannt.
    Er sagte leise: »Natürlich, um etwas aus dem Wege zu gehen. Vor wem bist du diesmal auf der Flucht, Fia? Wen hast du nun bestohlen?«
    »Das ist lange her, Brant. Und du hast mir ebensoviel gestohlen wie ich dir.«
    »Tatsächlich? Was denn?«
    »Vertrauen«, antwortete ich, um irgend etwas zu sagen oder zumindest einen Angriff zu versuchen.
    Er lachte; es war ein bitteres Lachen, das mich erschreckte. Ich habe ein gutes Ohr; dieser Mann war gefährlich. Die unruhige Härte des Jungen, die mir während unserer Unterrichtsstunden soviel Unbehagen und soviel Vergnügen im Bett bereitet hatte, was subtiler, geschmeidiger geworden. Wenn ich gemäßigter geworden bin – und das durch Jorry und nicht einfach durch die Zeit –, so schien Brant härter geworden zu sein, und das Bedrängende dieser Härte jagte mir Angst ein.
    »Ich hätte gedacht«, sagte er, »daß du mein Vertrauen geraubt hast zusammen mit dem Gold, das du vielleicht vergessen hast. Du bist verschwunden, Fia, am Tag, nachdem ich dir meinen Namen nannte. Aber vielleicht hast du das auch vergessen.«
    »Nicht einen Augenblick lang, Brant«, erwiderte ich und sah ihm direkt in die Augen. Irgend etwas blitzte zwischen uns hin und her, ein vielschichtiger Blick von Wut und Schmerz und der Erinnerung an die Begierde, und ich wußte, daß meine Angst wohl begründet war. Schon als Jugendlicher hatte Brant nicht verzeihen können. Und jetzt war er kein Jugendlicher mehr.
    »Fia«, sprach er mit leiser Stimme, die mir

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