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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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obgleich ich wußte, daß das nicht gut war. Der Rest der Geschichtenspielerdroge, der durch den vorzeitigen Abbruch unverbraucht geblieben war, strömte noch durch meine Adern, und die Droge vertrug sich schlecht mit Wein. Ich trank trotzdem und gab dann Jorry ein paar kleine Schlückchen. Er schaute verwirrt drein, wußte er doch, daß ich gewöhnlich bei meinen Vorführungen nicht trank. Aber heute war nichts wie gewöhnlich; hier hielt ich meinen Sohn im Arm, seinen festen, feuchten Körper mit dem Geruch des kleinen Jungen, und bei dem Gedanken, daß das je nach Rofdals Laune hätte ganz anders sein können, begann ich am ganzen Leib zu zittern. Das Geschichtenspiel hatte niemals zuvor zu derartigen Folgen geführt; Geschichtenspielen wurde schlecht entlohnt, doch es war kein gefährlicher Beruf, und niemals zuvor hatte ich damit meinen Sohn in Gefahr gebracht. Ich mußte ihn sofort aus dem Gefahrenbereich bringen. Wir würden den Palast verlassen, unsere Ponys besteigen und Veliano hinter uns lassen. Aber wir konnten nicht fort aus Veliano. Der König hatte befohlen, daß ich noch einmal vor ihm auftrat, eine andere Geschichte darbot. Eine andere Geschichte und die Vier Götter, an die ich nicht glaubte, alleine wußten, welche Gestalten sich diesmal verdichten würden.
    In diesem Augenblick schaute ich vom Rand des Weinbechers hoch, den Jorry mir mit ein paar Schlucken Inhalt zurückgegeben hatte, und sah, wie mich quer durch den Saal der große Mann in prachtvollem Schwarz anstarrte, der Mann, den ich einst ausgeraubt und vor dem ich die Flucht ergriffen hatte, der Mann, um dessentwillen ich es gemieden hatte, Geschichten an Höfen und in Herrenhäusern darzubieten und statt dessen auf Dörfer, abgelegene Schlösser und auf schlecht bezahlte Straßenmärkte ausgewichen war – dieser Mann befand sich hier, am Ende der Welt, wo er eigentlich überhaupt nicht sein konnte.
    Ich drehte Jorrys Gesicht zu mir, als wollte ich es verbergen, ein dummer, weil entlarvender Fehler. Aber es spielte keine Rolle. Als ich wieder hochsah, war Brant von Erdulin verschwunden. Ich winkte der Dienerin, die mir den Wein gebracht hatte.
    »Wir müssen schlafen. Führ uns in irgendein ruhiges Zimmer am Rande des Palastes, fernab von allem Lärm.« Sie verbeugte sich und ging voran, und ich folgte ihr, so selbstverständlich ich konnte, mit Jorrys Hand fest in der meinen.
    Das Zimmer, in welches sie uns brachte, gehörte nicht zu den Unterkünften der Bediensteten, wie ich erwartet hatte, sondern zu den offiziellen Räumen des Palastes. Offenbar hatte Rofdals Formulierung »Gast« die Frau verwirrt; herumziehende Harfnerinnen wären gewöhnlich nicht in einem solchen Zimmer untergebracht worden. Es war klein und mit einer gepolsterten Holztruhe, einem mit den Veliano-Edelsteinen besetzten Lacktisch und den allgegenwärtigen Wandteppichen eingerichtet. Und was am wichtigsten war, es hatte ein Fenster. Ich entließ die Frau und zog Jorry zum Fensterrahmen.
    »Mutter? Was hast du vor? Wir können nicht da hinunter!«
    Das konnten wir nicht. Ich hatte das Gelände um den neuen Palast nicht genau genug in Augenschein genommen. Er stand neben Velianos alter Zitadelle; die nun der Sitz der Priester war, und zwischen den beiden zog sich das Gelände in Ziergärten und Gräben dahin. Unterhalb dieses Fensters war der Bau offensichtlich noch nicht fertiggestellt; als ich mich weit aus dem Fenster beugte, damit das frische sommerliche Zwielicht meine Wangen kühlte, erblickte ich einen Hang mit Schotter und Geröll. Eine sportliche oder kräftige Frau hätte vielleicht unversehrt hinabspringen und Jorry dann auffangen können, aber ich war zierlich und nicht sportlich. Ich bräuchte ein Seil, zusammengeknüpfte Laken, wenn nichts Besseres da wäre. Ehe ich das Zimmer nach etwas Brauchbarem durchsuchen konnte, ging die Tür auf und Brant stand im Zimmer, er mit dem Rücken zur Tür, ich mit dem Rücken zur Wand.
    Er hatte sich nicht verändert. Der Junge, den ich vor zehn Jahren bei Mutter Arcoa kennengelernt hatte, war zum Mann geworden, aber mir fiel sofort ins Auge, was mir stets an ihm aufgefallen war: die mangelnde Übereinstimmung von Mund und Augen. Vielleicht machen die Unstimmigkeiten der Menschen mehr aus als die harmonischen Züge. Brants Mund trug noch den gleichen Zug wie in seiner Jugend: Er war gerade, grausam, reglos. Und seine Augen mit ihrer blauen Tiefe umschatteten immer noch einen kaum merklichen und unausgesprochenen

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