Schande
Die Decke gleitet beiseite; sie ist nur in Hemd und Slip.
Weiß sie in diesem Augenblick, was sie will?
Als er im Collegepark die erste Annäherung gemacht hat, hatte er eigentlich eine schnelle kleine Affäre im Sinn gehabt – schnell begonnen, schnell beendet. Jetzt ist sie in seinem Haus und bringt Verwicklungen mit sich. Was für ein Spiel spielt sie? Er sollte auf der Hut sein, ganz gewiß.
Aber er hätte von Anfang an auf der Hut sein sollen.
Er legt sich neben sie aufs Bett. Das allerletzte, was er braucht, ist, daß Melanie Isaacs bei ihm wohnt. Aber für diesen Moment ist der Gedanke berauschend. Sie wird jede Nacht da sein; jede Nacht kann er so in ihr Bett schlüpfen, in sie hineinschlüpfen. Man wird es herausfinden, man findet es immer heraus; es wird Getuschel geben, vielleicht sogar einen Skandal. Aber was macht das schon? Ein letztes Auflodern der sinnlichen Flamme, ehe sie verlöscht. Er schlägt die Bettdecke zurück, streichelt ihre Brüste, ihren Hintern. »Natürlich kannst du hierbleiben«, murmelt er. »Natürlich.«
In seinem Schlafzimmer, zwei Türen weiter, klingelt der Wecker. Sie wendet sich weg von ihm und zieht die Decke bis über die Schultern.
»Ich gehe jetzt fort«, sagt er. »Ich habe Seminare. Versuch wieder zu schlafen. Mittags bin ich zurück, dann können wir reden.« Er streicht ihr übers Haar, küßt sie auf die Stirn. Geliebte? Tochter? Was versucht sie im Grunde ihres Herzens zu sein? Was bietet sie ihm an?
Als er mittags zurückkommt, ist sie auf und sitzt in der Küche, ißt Toast mit Honig und trinkt Tee. Sie scheint sich ganz wie zu Hause zu fühlen.
»Na also«, sagt er, »du siehst schon viel besser aus.«
»Ich habe geschlafen, als du weg warst.«
»Willst du mir jetzt erzählen, was das Ganze soll?«
Sie weicht seinem Blick aus. »Jetzt nicht«, sagt sie. »Ich muß gehen, ich bin schon spät dran. Ich erkläre es das nächste Mal.«
»Und wann wird das nächste Mal sein?«
»Heute abend, nach der Probe. Ist das okay?«
»Ja.«
Sie steht auf, schafft Tasse und Teller zur Spüle (wäscht sie aber nicht ab) und dreht sich dann zu ihm um. »Bist du sicher, daß es okay ist?« fragt sie.
»Ja, es ist okay.«
»Ich wollte noch sagen, ich weiß, daß ich viele Seminare verpaßt habe, aber die Inszenierung nimmt meine ganze Zeit in Anspruch.«
»Ich verstehe. Du willst mir sagen, daß deine Theaterarbeit vorgeht. Es wäre hilfreich gewesen, wenn du das früher erklärt hättest. Wirst du morgen im Seminar sein?«
»Ja. Ich verspreche es.«
Sie verspricht es, aber das Versprechen ist nicht einklagbar. Er ist verärgert, irritiert. Sie benimmt sich schlecht, erlaubt sich zu viel; sie lernt, ihn auszunutzen, und wird ihn wahrscheinlich weiter ausnutzen. Aber wenn sie sich zu viel erlaubt, hat er sich noch mehr erlaubt; wenn sie sich schlecht benimmt, hat er sich noch schlechter benommen. Wenn sie zusammen sind, ist er derjenige, der führt, und sie diejenige, die folgt. Das sollte er nicht vergessen.
4. Kapitel
Er schläft noch einmal mit ihr, im Bett im Zimmer seiner Tochter. Es ist gut, so gut wie das erste Mal; er erfaßt allmählich die Art, wie sich ihr Körper bewegt. Sie ist beweglich und begierig auf Erfahrung. Wenn er bei ihr keinen voll ausgeprägten sexuellen Appetit feststellt, dann nur, weil sie noch jung ist. Ein Moment hebt sich in der Erinnerung heraus, als sie ein Bein hinter seinen Po hakt, um ihn noch mehr hineinzuziehen: als er spürt, wie sich bei ihr die Sehne innen am Oberschenkel anspannt, erfaßt ihn eine Woge der Freude und des Verlangens. Wer weiß, denkt er: es könnte trotz allem eine Zukunft geben.
»Machst du das oft?« fragt sie hinterher.
»Was?«
»Mit deinen Studentinnen schlafen. Hast du mit Amanda geschlafen?«
Er antwortet nicht. Amanda ist eine andere Studentin aus dem Seminar, eine schmächtige Blondine. Er hat kein Interesse an Amanda.
»Warum bist du geschieden?« fragt sie.
»Ich wurde zweimal geschieden. Zweimal verheiratet, zweimal geschieden.«
»Was war mit deiner ersten Frau?«
»Das ist eine lange Geschichte. Ich erzähl’s dir ein andermal.«
»Hast du Fotos?«
»Ich sammle keine Fotos. Ich sammle keine Frauen.«
»Gehöre ich nicht zu deiner Sammlung?«
»Nein, natürlich nicht.«
Sie steht auf, geht gemächlich durchs Zimmer und sammelt ihre Kleider auf, so
Weitere Kostenlose Bücher