Schandweib
es nicht mit einer fremden Sprache, sondern mit einer Verschlüsselung zu tun. Dabei ist der Brief aber mit demselben Siegel verschlossen wie diese kleine freundschaftliche Note. Beide Briefe haben keinen Adressaten. Wir wissen nicht, für wen sie sind, und auch das Siegel gibt uns keinen erkennbaren Hinweis.«
»Doch, Hinrich, Nikolaus schreibt an Hieronymus. Das wissen wir aus der kleinen Note. Aber ich sehe noch nicht, wozu Ihr darüber Näheres wissen müsst. Die Bestätigung der Verabredungist nie eingetroffen. Entweder kam der Gast überraschend oder er wurde ohnehin erwartet. Auf jeden Fall ist das Essen schon lange vorüber. Und Ihr könnt diese kleine Note für Eure Mandantin nutzen, ohne dass es darauf noch einen Einfluss hat. Aber ich ahne, was Euch umtreibt. Wenn Ihr erlaubt, so werde ich die beiden Briefe an mich nehmen und sie meinem Vater zeigen. Er ist ein Mann, dem die Welt der geheimen Zeichen und Sprachen nicht unbekannt ist. Vielleicht kann er Euch weiterhelfen.«
»Wenn Ihr das für mich tun könntet, wäre es mir eine große Hilfe, Ruth«, erwiderte Wrangel, legte behutsam seine Hand auf Ruths und schaute ihr erneut in die Augen, diesmal allerdings nicht mit den Gedanken bei seinem Fall, sondern ganz bei der pulsierenden Wärme ihrer zarten Haut.
»Gut«, sagte Ruth leise nach einer langen Weile, »dann gebt sie mir bitte, damit ich sie sicher verstauen kann.«
»Ja«, entgegnete Wrangel und blieb regungslos mit seiner Hand auf der ihren sitzen.
Mit einem Ruck kam die Kutsche plötzlich zum Halten. Sie hatten das Fortifikationswerk erreicht. Wrangel durchzog ein leichter Schauder. Er ließ Ruths Hand los, faltete die beiden Briefe zusammen und reichte sie ihr. Sie verstaute sie in dem kleinen Beutel, der an ihrem Rock unter der Schürze befestigt war. Wrangel legte die drei Briefe von Bunk wieder in seinen ledernen Rucksack und verschnürte ihn sorgsam.
»Was werdet Ihr jetzt als Nächstes tun?«, fragte Ruth nach einer Weile.
»Nun«, räusperte sich Wrangel etwas verlegen, »ich werde wohl noch heute mit Bunk reden und versuchen herauszufinden, was wirklich geschah und warum sie diese Geschichte erzählt hat. Vielleicht kann ich sie dazu überreden, dass sie ihre letzten Aussagen widerruft.«
»Das ist ein guter Plan. Ich wünsche Euch viel Erfolg. Und ich freue mich«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu, »wenn ich bald von Euch höre, wie der Fall weiter verläuft.«
Wrangel lächelte und war im Begriff, erneut ihre Hand zu nehmen, hielt sich aber zurück, denn die Kutsche erreichte das Steintor, und er hörte, wie Jurek mit den Torwachen verhandelte.
40
W rangels Blick wanderte von Bunks verschlossenem Gesicht hinaus zum kleinen Fenster der Herrenstube der Frohnerei. Die blasse Sonne schaffte es kaum noch, die schweren grauen Wolkenbänke zu durchdringen. Der Nachmittag war schon weit fortgeschritten, bald würde die Dämmerung einsetzen. Seit einer guten halben Stunde hatte er ununterbrochen auf Bunk eingeredet, ihr von seinen Erkundigungen in Wandsbek berichtet sowie von den Briefen und der Möglichkeit, sie damit deutlich zu entlasten. Aber Bunk hatte die ganze Zeit nur verbissen geschwiegen und mit dem Ende ihres schmutzigen Hemdes langsam ihren Zeigefinger ein- und wieder ausgewickelt.
Wrangel war müde und hungrig. Die Kälte im unbeheizten Zimmer kroch ihm den Rücken hoch. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr zu sich genommen. Er musste hier endlich vorankommen. Bunk musste doch irgendwie zu bewegen sein.
»Hör zu, Bunk«, setzte er erneut an, »wenn du nicht auf dem Richtplatz, ja vielleicht sogar auf dem Scheiterhaufen enden willst, dann musst du mit mir zusammenarbeiten.«
Bunk grinste schief und spuckte aus.
»Mir kannst du nichts vormachen. Du hast nichts mit der totenFrau vom Schweinemarkt zu tun, und sie kann auch nicht die vermisste Maria Rieken sein. Denn die sah ganz anders aus als die Tote. Was immer dich dazu treibt, an deiner Geschichte festzuhalten, frag dich, ob das den Preis der Folter und des Scheiterhaufens wert ist. Ich weiß, dass du Cäcilie Jürgens geliebt hast. Ich weiß, dass ihr euch überworfen habt. Ich weiß, dass du dich von ihr gelöst hast, und ich verstehe nicht, warum du jetzt nicht auch von ihr lassen kannst. Du hast sie bereits vor den Prätor und in die Folterkammer gezerrt. Damit hast du sie schon hart bestraft. Lass es gut sein jetzt und denk an dich. Die Leute auf den Straßen geifern schon, dich als Hexe brennen zu
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