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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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meinem Vater – einem Mann, der zwanzig Jahre älter war als sie – verheiratet wurde. Ich war bisher davon überzeugt, dass sie sich in diese Ehe aus Gehorsam ihrem strengen Vater gegenüber gefügt hatte. Ich selbst habe meine Mutter immer nur als tief im Herzen trauernde, aber zugleich liebevoll sorgende Frau erlebt. Für mich erklärte sich die große Trauer aus dem furchtbaren Verlust ihrer Kinder, meiner vier Brüder, und die Sorge aus der Angst um mich. Am vergangenen Sabbat nun lernte ich meine Mutter durch ihre Freundin Judith von einer ganz anderen Seite kennen. Judith spürte meine Ungehaltenheit gegenüber der Fürsorge und Vorsicht meines Vaters sowie meinen Unwillen, mich seinen Wünschen nach einem Ehemann zu beugen.«
    Wrangel schaute Ruth betroffen an. »Ihr werdet heiraten?«
    Die junge Frau errötete leicht, winkte dann aber lächelnd ab. »Bisher gibt es dafür weder Pläne noch einen geeigneten Ehemann«, sagte sie ablenkend. Dann fuhr sie unbeirrt mit ihrer Erzählung fort. »Jeder gläubige Jude hat aber zu heiraten und seine Frau in der Liebe glücklich zu machen. Dies schreibt uns unser Gesetz vor. Und genau hier glaubte ich, dass mein Vater meine Mutter enttäuscht hatte. Darum war ich auch nicht bereit, mich ohne Vorbehalt seinen Wünschen nach einem Ehemann zu fügen. Von Judith nun erfuhr ich, dass es tatsächlich der Herzenswunsch meiner Mutter gewesen war, meinen Vater zu heiraten. Sie war das älteste von elf Kindern und hatte von klein auf an Verantwortung für ihre Geschwister tragen müssen. Nie hatte sie ausreichend elterliche Wärme und Geborgenheit genossen, stets war sie ihrer Mutter zur Hand gegangen bei all den Arbeiten, die ein so großes Haus mit sich bringt. Als sie dann meinen Vater mit fünfzehn Jahren kennenlernte, war es das erste Mal in ihrem Leben, dass ihr jemand die Last des Alltags abnahm und sie unbeschwert fröhlich sein konnte. Judith erzählte mir, dass meine Mutter in ihrem um so vieles älteren Mann die väterliche Liebe und Geborgenheit fand, die sie immer gesucht hatte und die nun die Kinderseele in ihrer Brust zum Leben erweckte und ihr Herz mit grenzenloser Liebe zu ihrem Mann erfüllte. Mein Vater hat meiner Mutter fünf Jahre unbeschwerter Zeit geschenkt, in der sie seine Liebe nehmen durfte, ohne schon durch eigene Kinder erneut in große Verantwortung eingebunden zu sein. Die Trauer, die ich als Kind in den Augen meiner Mutter sah, war neben dem Leid um ihre Kinder auch der Schmerz um das Leid meines Vaters, der nur ihr sein Herz öffnen konnte, um sein Leid zu teilen. Nicht um meiner Mutter Seelenfrieden willen bin ich auf die Welt gekommen, wie ich bisher vermutete, sondern weil meine Mutter meinem Vater um seiner Seele willen noch ein Kind schenken wollte, das seinem Herzen wieder Freude bringen würde. Aber sie wusste auch, dass sie mit einem weiteren Kind ihre eigene Gesundheit in größte Gefahr brächte. Ihrer Freundin Judith sagte sie, dass in ihrer Seele zwei Seelen lebten, von der die eine so viel genommen hatte, dass die andere nun so viel geben möchte. So drang erst auf dieser Reise in meinen Verstand, was mein Herz schon lange ahnte, dass nämlich mein Vater wohl nie eine Entscheidung gegen mein Wohl treffen würde und meine Mutter trotz aller Prüfungen des Lebens eine zutiefst glückliche Ehefrau war, die durch ihre große Liebe die zwei Seelen in ihrer Brust vereinen konnte.«
    Ruth wandte ihren Blick ab und schaute eine Weile nachdenklich aus dem Fenster.
    Wrangel war berührt von so viel Offenheit, ja so viel Intimität, die die junge Frau vor ihm ausbreitete. Er versuchte sich zu fangen und aus ihren Worten den Bezug zu seinem Fall herzustellen. »So meint Ihr, dass auch Bunk innerlich jemand anders sein könnte, als sie zu sein vorgibt?«
    »Genau. Sagte die Hebamme nicht, Bunk habe diese Cäcilie geliebt? Vielleicht treibt die Liebe sie zu handeln.«
    »Aber warum sollte sie aus Liebe diese Cäcilie vor Gericht schleifen?«
    »Aus verletzter, aus enttäuschter Liebe könnte sie es tun. Sagtet Ihr nicht, die Hebamme habe Euch Briefe von Bunk an Cäcilie gegeben? Was steht denn in ihnen? Geben sie keinen Hinweis auf ihr Verhalten?«
    »Ich habe sie noch nicht gelesen«, gestand Wrangel betreten ein.
    »Warum nicht? Vielleicht helfen sie Euch weiter.«
    Wrangel schämte sich einzugestehen, dass er vor lauter Liebesgier nach der kleinen Magd die Briefe verdrängt hatte und sichlieber einem ausgiebigen Bad und den nächtlichen

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