Schandweib
sehen. Sie werden dich durch die Straßen der Stadt schleifen wie einen Sack, dir die Kleider vom Leib zu reißen versuchen und die Haare vom Kopf. Sie werden dich besudeln mit jedem Unrat, den sie greifen können. Sie werden dich mit glühenden Zangen zwicken. Sie werden dich auf den Scheiterhaufen binden und langsam von unten her rösten. Sie werden erst Ruhe geben, wenn das letzte Häuflein deiner Asche unter dem Galgen vergraben ist. Und selbst die werden sie noch heimlich nachts wieder ausgraben, um daraus Elixiere zu brauen, die ihren Aberglauben weiter nähren.«
Wrangel stützte den Kopf auf seine Hände und schwieg. Schon die Vorstellung dieser Barbareien widerte ihn an.
»Und was könnt Ihr für mich tun?«
Wrangel blickte Bunk erstaunt an. Es war das erste Mal, dass sie überhaupt von sich aus einen Schritt auf ihn zu machte. »Ich kann beweisen, dass die Tote nicht Maria Rieken ist, und ich kann beweisen, dass du im Januar keinen Kontakt zu Cäcilie Jürgens hattest. Damit kann ich dich hoffentlich von dem Vorwurf der Beihilfe zum Mord befreien. Dann läge nur noch die Verletzung von Elisabeth Pausten gegen dich vor, aber die wird nichtso gravierend sein ohne die anderen Vorwürfe. Wenn alles gut läuft, wirst du ein paar Stunden am Pranger stehen und vielleicht auch mit der Rute ausgestrichen werden. Dann wird man dich vor die Tore der Stadt bringen und dir den Zutritt verweigern. Aber du wirst leben und woanders hingehen können, so wie du es bisher ja auch getan hast.«
»Und was muss ich dafür tun?«
»Du musst widerrufen, Bunk! Du musst deine Anschuldigungen gegen Cäcilie Jürgens und gegen diesen Arzneienkrämer Jähner zurücknehmen. Die falsche Beschuldigung vor Gericht wird dir natürlich noch ein paar zusätzliche Rutenhiebe einbringen, aber mehr nicht.«
»Und die kommen dann frei, ja?«
»Ja.« Wrangel sah, wie Bunk mit sich rang. »Aber gestraft sind sie dennoch. Denn wer kauft noch bei einem Arzneienkrämer, den der Henker in der Mangel hatte? Der Makel haftet ihnen weiter an.«
Bunk schloss die Augen. »Nun gut, ich will es tun. Aber Ihr müsst mir zuvor noch einen Gefallen tun.«
»Was soll das sein?«, fragte Wrangel zurückhaltend.
»Für ein neues Leben brauche ich Geld. Keine Sorge, ich habe welches, von Eurem will ich nichts. Aber ich komme nicht mehr dran. Es ist versteckt auf meiner Bude am Neuen Markt. Könntet Ihr es mir holen?«
Wrangel überlegte. »Nur, wenn du mir etwas verrätst.«
Bunks Gesicht verfinsterte sich schlagartig.
»Was waren das für andere Briefe, die bei der Hebamme in Wandsbek lagen?«
»Ach die«, atmete Bunk entspannt auf, »das waren Briefe, die ich als Bote nach Lübeck bringen sollte. Um genau zu sein, sollte ich nur einen bringen. Ein Kumpan von mir, der ebenfallsKuriergänge macht, gab mir seinen mit, weil er sich seinen Fuß verletzt hatte und nicht glaubte, den Weg im Regen heil zu schaffen.«
»Aber warum hast du sie nicht abgegeben?«
»Warum, warum?«, entgegnete Bunk gereizt. »Weil ich es vergessen hab. Den Kopf hab ich mir zugesoffen mit ein paar Kerlen. Einer von ihnen bot mir an, am nächsten Morgen in aller Früh auf seinem Wagen mit nach Altona zu kommen, wo es jede Menge guter Arbeit geben sollte. Ich hab dem Lahmen gesagt, wo er die Briefe findet, wenn er wieder auf die Beine kommt, damit er sie noch wegbringen kann. Aber da Ihr sie gefunden habt, hat er es wohl nie zur alten Bruhn geschafft.«
»Für wen solltest du die Briefe bringen und wem solltest du sie übergeben?«
»Ein großer blonder Kerl mit Lederwams hat sie mir gebracht. Seinen Namen kenn ich nicht, aber ich glaube, dass er in Hamburg als Schlupfwächter . Übergeben sollte ich sie vor dem Holstentor zu Lübeck einem Mann, der mir das passende Siegel zeigen sollte. Mehr weiß ich nicht über ihn. Das war der dritte Gang, den ich für den Kerl im Lederwams machte. Aber nachdem ich den letzten Brief nicht abgegeben habe und auch kaum mehr in Hamburg war, hatte sich diese Botenarbeit erledigt.«
Wrangel nickte stumm. »In Ordnung. Wo finde ich das Geld, das ich dir holen soll?«
41
V orsichtig stieg Wrangel die dunkle Stiege des windschiefen Hauses am Neuen Markt hinauf. Die Nacht war bereits hereingebrochen, und nur eine kleine Kerze leuchtete ihm flackernd den Weg über die abgewetzten und schmierigen Stufen. Er konnte es nicht verhehlen, ihm war nicht wohl bei diesem Gang. Schon auf der Straße hatte er sich beobachtet gefühlt. Zwar konnte er niemanden
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