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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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durch unser Gericht, Ihr wollt dieses Geschenk verwerfen wegen der Aussage einer zwielichtigen Hebamme, drei Briefen, die Euch angeblich gestohlen wurden und die Ihr dem Gericht darum nicht vorlegen könnt, sowie Eurer eigenen Erinnerung an Form und Größe einer Leiche. Wem tut Ihr damit einen Gefallen? Weder Eurer Mandantin noch dem Niedergericht, noch Hamburg und schon gar nicht Euch selbst. Seht Euch nur an. Geschlagen und zerschunden, wie Ihr hier steht, seht Ihr Eurer Mandantin ähnlicher, als Euch lieb sein sollte. Ihr müsst Euch pflegen und die Wunden heilen lassen. Darum beurlaube ich Euch hiermit nach dem Ende dieser Sitzung für zwei Wochen vom Niedergericht und Euren damit verbundenen Verpflichtungen. Möge der Fall ein wenig ruhen und Ihr über Eure Verantwortung nachdenken.«
    »Prätor Wilken, Ihr habt mich vorhin nicht ausreden lassen. Somit lasst mich jetzt meinen Antrag vor dem Niedergericht zu Ende führen. Meine Mandantin Ilsabe Bunk möchte widerrufen. Sie wartet bereits in Begleitung des Frohns vor der Tür, um Euch hier ausführlich vor Zeugen ihren Widerruf darzulegen.«
    Wilken erbleichte, und der eben noch so selbstsichere Ton wich einem heiseren Flüstern, als er den Gerichtsdiener anwies, die Angeklagte hereinzurufen.
    Dann wandte er sich noch einmal kurz zu Wrangel. »Ihr ahnt gar nicht, wie viel Leid Ihr mit diesem Widerruf anrichtet. Wahrlich, nicht nur Euren Körper, auch Euren Verstand haben die Schläge ganz zweifelsfrei in Mitleidenschaft gezogen. Als Schüler von Thomasius solltet Ihr nicht nur um die Grauen der Folter und ihre Mängel als Instrument der Wahrheitsfindung wissen, sondern auch um die Notwendigkeit der vorläufigen Beibehaltung ihrer Anwendung zum Schutze der Rechtspflege.«
    Gegen Wrangels Schläfen pochte es schmerzhaft, und seine verkrustete Wange brannte. Es war noch nicht vorbei. Der Widerruf würde nur einen Aufschub bringen. Er musste die zwei Wochen Zwangsurlaub, die Wilken ihm soeben verordnet hatte, nutzen, um seine Fakten besser zu untermauern. Das medizinische Gutachten vom Physikus Dr. Biester musste er ebenso heranziehen, wie Frau Jähner als Zeugin gewinnen, damit sie bestätigte, dass die Rieken noch lebte, als man die kopflose Tote fand. Darüber hinaus galt es, Jähners Nutzen an dem Mord zu entkräften. Er musste schnellstmöglich eine hieb- und stichfeste Verteidigungsschrift verfassen, die Bunk dorthin zurückführte, weshalb sie überhaupt in die Frohnerei gekommen war: wegen Körperverletzung bei einer Rauferei aus Eifersucht.
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    K aum hatte Wilken nach Bunks Widerruf und Rückführung in die Frohnerei die Sitzung des Niedergerichts beendet und sich, ohne Wrangel eines weiteren Blickes zu würdigen, insein Arbeitszimmer zurückgezogen, humpelte der Prokurator hinüber zum Aktuar Dr. Meyer, der noch mit letzten Korrekturen am Protokoll beschäftigt war.
    »Dr. Meyer, entschuldigt die Störung Eurer hochgeschätzten Arbeit. Da ich aber auf Anordnung des Prätors erst meine Gesundheit wiederherzustellen habe, bevor ich erneut am Niedergericht erscheinen darf, muss ich Euch dringend vorher um Eure Hilfe bitten.«
    Der Aktuar musterte mit zurückhaltendem Blick Wrangels verbundenes Gesicht. »Wahrlich, das Krankenbett scheint auch mir für Euch ein angemessenerer Ort zu sein als der Gerichtssaal. Was gibt es denn, das Euch von der Genesungsruhe abhält?«
    »Ich brauche das medizinische Gutachten, das der Physikus im vergangenen Januar von der Frauenleiche ohne Kopf erstellt hat. Es muss vor knapp drei Wochen an das Niedergericht übergeben worden sein, und ich möchte es dringend einsehen.«
    »Zwar kann ich mich an kein Gutachten dieser Art erinnern, aber ich werde sehen, was ich für Euch tun kann.«
    »Danke, Dr. Meyer.«
    Als Wrangel in die schneidend kalte Herbstluft hinaustrat, erinnerte er sich, am ganzen Leibe zitternd, dass er zunächst einige Besorgungen tätigen musste, um seinen gestohlenen Umhang und die Stiefel zu ersetzen. Hinter den Bleichen gab es einen alten Schuhmachermeister, der ausgezeichnete Leisten hatte und Stiefel von hervorragender Qualität anzufertigen wusste. Zurzeit waren Wrangels Füße nur notdürftig mit einem leichteren Schuhwerk bekleidet, das sonst warmen, trockenen Sommertagen vorbehalten war. Einen guten Schneider unweit seines Quartiers in der Rosenstraße kannte er über seine Wirtin, nur anständigen Stoff würde er selbst kaufen müssen. In der Caffamacherreihe gab es mehrere niederländische Weber,

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