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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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zusammen und stemmte ihn von sich, der stöhnend zur Seite rollte. Aus seinem Hinterkopf quoll Blut, lief den Nacken hinunter und versickerte im groben Leinenhemd. Ilsabe befreite sich und rannte wütend schreiend zum Haupthaus hinüber. Ihr Laibchen war zerrissen, das Hemd färbte sich an der linken Schulter tiefrot. Der Schürhaken hatte ihr selbst einen tiefen Riss zugefügt.
    »Wie kannst du meinen Bruder halb totschlagen, nur weil er dir, wie ein junger Bock, mal auf den Hintern haut?«, ging John sie wütend an. »Nicht nur faul und bockig bist du, auch streitsüchtig und böse. Dein Hausrecht hast du verwirkt. Unter meinem Dach ist für dich kein Platz mehr.«
    »Ach Kind«, jammerte Magda unter Tränen, »wie hast du’s so weit kommen lassen können? Anstatt mit dem Gesäß zu wackeln, hättest du das Holz schichten und das Feuer schüren sollen. Jetzt haben wir einen verletzten Mann im Haus, kurz bevor der Pflug aufs Feld muss. Aber du willst dich weiter auf unsre Kosten durchfressen, nur weil du zu unwillig und zu hässlich bist, dir einen Mann zu suchen. Und schaut dir doch mal einer hinterher, zerschlägst du ihm gleich den Kopf. Möge Gott dir weiterhelfen, ich kann’s nimmer.«
    Anfang März 1694, die Wunde auf der Schulter war noch kaum verschorft, machte sich Ilsabe Bunk mit einem Bündel auf dem Rücken auf den Weg nach Hamburg, um sich eineStelle als Hausmädchen zu suchen. Vielleicht hätte sie auf dem Dittmer’schen Hof bleiben können, wenn sie um Verzeihung gebeten und alle Schuld auf sich genommen hätte. Doch wenn sie ihre Ehre vergessen und aus Dankbarkeit das nächste Mal die Beine breit gemacht hätte, wäre der geile Bock immer wieder auf sie losgegangen. Niemals! Für ihre Ehre hatte sie sich schon als Kind geprügelt, wegen ihrer Ehre schmerzte die Schulter bei jedem Schritt, den sie auf der Landstraße ging. Die Ehre war das Einzige, was ihr als Erbe von ihrem Vater blieb. Sie sollte nicht auch zu einer blassen Erinnerung verkommen wie die Liebe ihrer Mutter.
    Ilsabe entschied sich für Hamburg, weil Bremen ihr zu dicht bei Verden lag. Niemand sollte sie kennen und ihr böse Worte nachsagen. Im Haushalt eines Bäckers fand sie Stellung als Dienstmagd. Sie hatte auf dessen drei Kinder aufzupassen und die Launen seiner Frau zu ertragen, der der Umstand zu Kopfe stieg, nun auch eine Dienstbotin zu haben. Ilsabe schlief in einer einfachen, zugigen Kammer unter dem Dach, hatte morgens als Erstes das Feuer anzufachen und abends als Letztes zu bügeln. An einigen Tagen musste sie in der Backstube mithelfen.
    Der Bäcker war ein gutmütiger Mann. Er verstand sich meisterlich auf das Backen kleiner süßer Brötchen, die ihm seine Kasse üppig füllten. Doch die Bäckersfrau war vom Geiz gepackt und zugleich darauf versessen, den Sprung in die höchsten Kreise der städtischen Zunft zu schaffen. Entsprechend streng führte sie das Haus. Ausgehen durfte Ilsabe nicht, weil dies gegen die Vorstellungen verstieß, die sich die Bäckersfrau von der Schicklichkeit ihrer Dienstbotin machte. Auch zum Essen durfte sie nicht mit den Gesellen und der Familie des Bäckers an einem Tisch sitzen, und ihre Bezahlung war kärglich.
    Nach einem Jahr gab Ilsabe den Dienst auf. Die Frau des Bäckers erzählte allen Nachbarn, sie sei ein faules Stück, und man sei froh, sie aus dem Haus zu haben. Nun war nicht mehr daran zu denken, in diesem Teil Hamburgs in einem anderen Haushalt unterzukommen. Mit dem wenigen Ersparten, das ihr geblieben war, wanderte Ilsabe Ostern 1695 nach Bremen. Sie kam als Hausangestellte bei einem Kaufmann unter.
    Die Arbeit war hier weniger hart als bei dem Bäcker. Zu essen gab es reichlich, ihre Kammer lag neben dem Schornstein, sodass sie nicht frieren musste. Die Frau des Kaufmanns hatte ein gutes Herz und viel Geduld mit Ilsabes kleinen Ungeschicklichkeiten. Doch nach drei Monaten stand eines Abends der Herr des Hauses bei ihr in der Kammertür und erkundigte sich nach ein paar erwärmenden Extradiensten, während seine rechte Hand bereits im Begriff war, die Hose aufzuknöpfen. Nur mit Mühe konnte Ilsabe den Mann aus der Kammer schieben und die Tür verriegeln. Früh am nächsten Morgen verließ sie das Haus des Kaufmanns. Dieser blieb ihr einen halben Monatslohn schuldig. Als Strafe für ihre »Verbocktheit«, wie er sich ausdrückte.
    Ilsabe wusste, das Dasein als Hausangestellte würde sie früher oder später umbringen. Wie sollte sie in so umfassender Abhängigkeit von den

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