Schandweib
des Henkers ist. Die übrigen Menschen brauchen vor diesem gottergebenen Mann keine Furcht zu haben.«
»Nun, mein Junge, das ist wohlgesprochen für einen aufgeklärten Theologen, doch bei den Damen lässt so ein Umgang doch das Grauen aufkommen«, vermittelte der alte Claussen gütlich.
»Des pharmazeutischen Interesses wegen kann aber wohl kaum jemand Jastrams Kopf gestohlen haben. Soviel weiß ich aus meinen zweifellos geringen medizinischen Kenntnissen«, brachte Schultze das Gespräch wieder zurück auf unverfänglicheres Terrain. »Vielmehr politisch scheint mir so eine Tat motiviert. Der nordische Krieg der Schweden gegen Russland und Polen gibt den Dänen neue Hoffnung, ihre Klauen in Hamburg einzuschlagen, um die Demütigung, die der junge Schwedenkönig Karl XII. ihnen selbst mit seinem überwältigenden Sieg im vergangenen Jahr angetan hat, wettzumachen. Nun, da sich die Schweden immer tiefer in den Krieg gegen Russland, die Sachsen und auch gegen Polen-Litauen verstricken, scheint der Augenblick günstig für Friedrich IV. zu sein, uns erneut seine dänischen Doggen auf den Leib zu hetzen.«
»Da habt Ihr recht, Herr Schultze, denke ich nur an die Sperren im Hamburger Hafen, die uns seit dem Sommer quälen. Aber warum sollte dafür gerade Jastrams Kopf wichtig sein?«, fragte Lorenz ungläubig grübelnd dazwischen.
»Erinnert Ihr Euch an den Fall Rondeck, verehrter Syndikus Lorenz?«
»Selbstredend, ich diente bereits dem Rat, damals im Sommer1685. Die Gnadenlosigkeit, mit der Jastram und Schnittger den Mann foltern ließen, weil er versucht hatte, Schnittger zu entführen, war beispiellos gewesen. Der Henker selbst, unser Asthusen, verweigerte schließlich, dem Gemarterten weitere Qualen zuzufügen. Dabei war von Rondecks Entführungsversuch weit weniger verwerflich, als man annehmen könnte. Schnittger und Jastram hatten schließlich viele ehrenrührige Reden gegen seinen Herrn, den Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Celle, geführt, und unser Rat war nicht in der Lage, dem Genugtuung fordernden Herzog diese auch zu bieten. Erst die Köpfe der beiden vor unseren Toren versöhnten den Nachbarn wieder mit Hamburg.«
»Doch vielleicht gilt es ja gerade, diese Versöhnung nun lauthals zu stören «
»Verehrte Herren, politische Themen, gepaart mit blutrünstigen Details, sind nichts für eine junge Dame«, unterbrach die Hausherrin mit mahnendem Blick auf Ruth, die mit leuchtenden Augen begierig der Unterhaltung folgte. »Verschiebt diese Erörterungen doch bitte auf später und lasst uns nun lieber erbaulicheren Dingen zuwenden. Liebe Ruth, mögt Ihr uns nicht mit ein wenig Musik am Cembalo erfreuen? Euer Vater lobt Euer Spiel so außerordentlich, dass ich mich schon lange danach sehne, Euch zu hören.«
Wrangel rauschte der Kopf. Gedanken über verschwundene Köpfe vermischten sich mit der für ihn so neuen Dimension der Hamburger Politik. Der schwere Wein und der samtige Kerzenschein trugen das Ihre dazu bei, die Welt für einen Augenblick in einem anderen Licht zu sehen. Vor allem aber verwirrten ihn die leuchtenden grauen Augen der jungen Ruth, die jetzt über die Noten einer Cembalo-Sonate von Johann Mattheson glitten, derweil unter ihren Händen das Cembalo mit strengen und klaren Tönen den Raum füllte.
12
A uf dem Weg in sein Quartier überlegte Wrangel, ob er nicht doch noch in einer der Kneipen einkehren sollte, um über die Gespräche im Haus der Claussens nachzudenken, entschied sich dann aber, ohne Umwege heimzugehen. Bei seiner Wirtin brannte noch Licht. Er klopfte an die schwere Tür.
Die Alte öffnete aufgeregt. »Herr Wrangel, es war der Brookvogt da und hat einen Brief abgegeben. Es ist bestimmt eine wichtige Sache, er trägt das Siegel von Prätor Wilken!«
Wrangel öffnete das Schreiben und überflog die Zeilen. Berauscht vom Wein, machte er sich einen Spaß daraus, die Neugier seiner Wirtin auf die Folter zu spannen, die mit lang gerecktem Hals in der Diele stand und ein Licht hielt, damit er lesen konnte. Dabei versuchte auch sie etwas zu entziffern.
Er setzte eine offizielle Miene auf. »Nichts Wichtiges. Der Prätor hat mich zu einer Zeugenvernehmung geladen.«
Im Gesicht der Alten mischte sich ein Ausdruck von Erstaunen mit der Enttäuschung mangelnder Befriedigung.
So konnte er es sich nicht verkneifen, sich ihr auf der Treppe noch einmal mit gespielt verschwörerischem Ton zuzuwenden. »Es geht um das Mannweib, die Frau in Männerkleidern.«
Dann ließ er sie
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