Schandweib
spöttischem Blick. »Noch kein einziges Haar im Gesicht, aber schon Kähne schleppen willst du?«
»Ich kann auch packen und sortieren, wenn’s sein muss, außerdem putzen und kochen.«
»Nun, einen Jungen fürs Kleine könnten wir schon brauchen. Das Deck schrubben, die Taue aufrollen und mit anpacken, wenn Not am Mann ist. Drei Groschen am Tag zahl ich dir und eine Suppe zum Mittag.«
»Für drei Groschen am Tag bin ich dabei, wenn die Suppe auch dick genug ist.«
»Dafür, dass du Hemd was auf die Rippen kriegst, werden wir schon sorgen«, grinste der Dicke. »Wie ruft man dich, Kleiner?«
»Hinrich heiß ich, Hinrich Bunk.«
»Und ich bin Hein, Hein Pieper«, entgegnete der Dicke und streckte ihm seine schwielige Hand entgegen. »Willkommen an Bord, Hinrich.«
Seit diesem Handschlag an einem sonnigen Tag im Juli 1695 gab es für die Welt nur noch Hinrich Bunk. Anna war vergraben, zusammen mit der toten Mutterliebe, Ilsabe war gebunden unter strammen Tüchern, und alle Widrigkeiten des weiblichen Daseins waren aus Bunks Leben verscheucht.
Dienstag, 13. August 1701
4
N achdenklich blickte Ruth Abelson aus dem Fenster auf das bunte Treiben in der Amsterdamer Nieuwe Herengracht . Elegant gekleidete Damen und Herren flanierten an diesem sonnigen Augustnachmittag entlang dem glitzernden Wassergürtel, der Tausende Lichtflecken an die hell verputzten Fassaden der prunkvollen Häuser warf. Junge Damen ließen mit Spitzen verzierte Sonnenschirme wie lichte Kreisel über ihren Köpfen drehen und plauderten ungeniert fröhlich durcheinander.
So leicht und unbeschwert wirkte das Leben da unten auf einer der reichsten Prachtstraßen Amsterdams, der drittgrößten, aber wohl aufregendsten und freiesten Metropole des europäischen Kontinents. Nur ein Zeichen von ihr, und Ruth könnte ebenfalls eine dieser jungen Damen dort unten sein. Reich, schön, jung und sorglos könnte sie innerhalb der Elite dieser dynamischen Stadt leben, in kostbarsten Kleidern die wichtigsten Salons der Stadt frequentieren und nur die erlesensten Speisen zu sich nehmen. Ein Zeichen nur, und ihr Vater würde umgehend die bestmögliche Partie auf dem Heiratsmarkt für sie möglich machen.
Schließlich hatte er sie doch wohl deshalb mit auf diese Geschäftsreise nach Amsterdam genommen. Zwar hatte er es so nicht ausdrücklich formuliert, sondern lediglich von seiner Sorgegesprochen, sie für mehrere Wochen allein in Hamburg zurückzulassen. Aber seit ihrer Abreise hatte er keine Gelegenheit verstreichen lassen, sie den Söhnen seiner Geschäftsfreunde vorzustellen.
Nun waren sie schon seit vier Wochen Gäste im Hause des Bankiers Jakob Levi, eines Jugendfreundes ihres Vaters, und Ruth hatte wirklich keinerlei Grund, sich zu beschweren. Das Haus der Levis war ein eleganter Neubau an der Nieuwe Herengracht, unweit des jüdischen Viertels von Amsterdam. Zur prächtigen portugiesischen Synagoge in der Visserplein Straat war es ein hübscher Spaziergang, auch zur Börse und zur Wisselbank war es nicht weit. Ruths Vater verbrachte dort gemeinsam mit Jakob Levi und dessen Sohn Benjamin regelmäßig viele Stunden, um seinen Geschäften nachzugehen. Um Ruth kümmerte sich meist Esther Levi, Jakobs Frau, eine elegante ältere Dame, die trotz des nahezu fürstlichen Lebensstils, der im Hause Levi herrschte, weder zu Extravaganzen noch zu ostentativem Prunk neigte. Vielmehr steckte sie ihre Energien in die Musik und Malerei sowie in eine anspruchsvolle und gepflegte jüdische Haushaltsführung.
Mehrfach hatte sie Ruth mit ins jüdische Viertel genommen, wenn sie dort persönlich beim angesehensten Schlachter des Viertels die Bestellungen aufgab. Schließlich war die Oberhoheit über die koschere Küche eine traditionelle Pflicht der Hausherrin, die sich Esther Levi von keiner Bediensteten vollends abnehmen ließ. Aber auch zu ihrem Schneider waren sie schon öfter zusammen gegangen. Das hellblaue Seidenkleid mit den zarten Brabanter Spitzen, die Ruths Dekolleté bedeckten, war ein Geschenk der Dame des Hauses an das junge Mädchen gewesen. Die Auswahl der Stoffe war beeindruckend gewesen, der Unterschied zum Hamburger Angebot unverkennbar. In dieSynagoge waren die beiden Frauen ebenfalls schon öfter gegangen, und Ruth genoss es, hier so unkompliziert ihren Glauben leben zu können.
In Amsterdam war man ungemein tolerant gegenüber der jüdischen Minderheit. Nicht nur die reichen jüdischen Bankiers, auch die einfachen Leute konnten hier nahezu
Weitere Kostenlose Bücher