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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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unbehelligt ihrem jüdischen Leben nachgehen und durften sogar Grundbesitz erwerben. Die Stadt wusste die Vorteile zu schätzen, die ihr die jüdischen Einwohner brachten. Nicht nur hohe Steuern, auch viel Fachwissen und besondere Fertigkeiten aus aller Welt hatten die Juden den zum großen Teil calvinistischen Niederländern zu bieten.
    Die Hamburger waren weit zurückhaltender. Obwohl Ruths Vater, Moses Abelson, ein sehr vermögender Mann war, war es ihm nicht möglich, in Hamburg Grund zu erwerben. Er wohnte mit seiner Tochter zur Miete. Auch gab es in Hamburg keine Synagoge. Nach Wandsbek oder nach Altona, ins Dänische, musste man fahren, wollte man unter seinesgleichen den Sabbat feiern. Mit dem koscheren Fleisch war es ebenfalls nicht einfach in der Hansestadt. Zwar gab es zwei oder drei Schächter, die sich gut auf ihre Kunst verstanden, doch die Nachfrage war meist größer als das Angebot.
    Trotzdem war Hamburg Ruths Zuhause. Sie fühlte sich dort wohl und sicher. Die Abelsons hatten gute Freunde in der Stadt, verkehrten in vielen angesehenen Familien, und Ruth profitierte von einer ganzen Reihe von Privatgelehrten, die ihr Vater für ihre persönliche Bildung engagierte. Denn nichts fesselte die junge Frau mehr als die Geisteswissenschaften. Mathematik, Astronomie und Philosophie waren ihre besondere Leidenschaft. Aber auch Musik faszinierte sie, nicht nur das Spiel, sondern ebenso die Komposition. Und sie liebte es, mit ihrem Vater gemeinsame Abende am Schachbrett zu verbringen, bei denen die Partien oft durch seine ausschweifenden Erzählungen über ferne Länder und historische Ereignisse in den Hintergrund gerieten.
    Dass all dies, was ihr Leben bisher so lebenswert gemacht hatte, zu Ende gehen und sie sich auf ein neues Leben als Ehefrau und womöglich auch bald als Mutter einlassen sollte, wollte ihr trotz der hiesigen Annehmlichkeiten noch nicht in den Sinn. Sie fühlte sich zu jung für einen solchen Schritt. Dabei würde sie in gut einer Woche bereits neunzehn Jahre alt werden. Ihre Mutter war in diesem Alter schon verheiratet gewesen. Ach, wäre sie doch noch am Leben, sie könnte ihr sicherlich sagen, was zu tun war.
    Hier in Amsterdam, mit seinen prächtigen Wasseravenuen und den eleganten Stadtpalästen, die die Grachten säumten, hier schien das Leben immer nur einem märchenhaften Schlaraffenland zu gleichen. Selbst die wohlhabenden Flaneure auf den Straßen erinnerten an das Märchen vom Schlaraffenland, das Ruth als Kind so häufig gehört hatte. Viele Männer dort unten waren so wohlgenährt, dass ihre Züge schon nahezu weiblich wirkten, besonders wenn sie in der Kleidung der mit Spitzen und Brokat überladenen französischen Mode folgten. Würfe man ihnen ein Kleid über, so mancher von ihnen wäre nicht von einer Frau zu unterscheiden.
    Wie anders stand es zugleich um die armen Leute, die Ruth auf ihren Spaziergängen mit ihrem Vater am Hafen gesehen hatte. Sie erinnerte sich an einige arme Frauen, die mit ihren ausgezehrten Körpern und von der schweren Arbeit schwieligen Händen regelrecht männlich wirkten. Nichts an Weiblichkeit hatte das harte Leben ihnen gelassen. Wie die Stadt mit ihren Prachtstraßen selbst auf Hunderttausenden Pfählen ruhte, die von mindestens genauso vielen Händen in den sumpfigen Morast getrieben worden waren, so lebten diese Flaneure auf der Promenade ebenso von der harten Arbeit jener Menschen am Hafen, die jeden Tag das Wirtschaftswunder, das Amsterdam in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hatte, mit ihrer Hände Tätigkeit voranbrachten.
    Auch sie, Ruth Abelson, sephardische Jüdin aus Hamburg, lebte von dem Profit, der aus der Arbeit anderer Menschen gewonnen wurde. Und sie lebte gut davon. Bei aller Liebe zur Philosophie käme ihr auch niemals in den Sinn, das harte Brot der armen Leute teilen zu wollen. Sie war ihrem Vater zutiefst dankbar, dass er ihr ein sicheres und wohlhabendes Leben ermöglichte. Aber warum nur drängte er sie nun in die Ehe? Es ging ihnen doch gut, so wie sie lebten. Warum sollte es nicht einfach so weitergehen?
    Leise öffnete sich die Tür, und Moses Abelson trat in das Zimmer seiner Tochter. »Ruth, liebes Kind, was sitzt du so nachdenklich am Fenster?«
    »Ich betrachte die Leute auf der Nieuwe Herengracht, wie sie flanieren und sich amüsieren.«
    »Ja, ein leicht anmutendes Leben herrscht in dieser Stadt. Aber auch alle Leichtigkeit hier ruht auf einem Fundament harter Arbeit.«
    »Darüber dachte ich auch gerade nach,

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