Schatten eines Gottes (German Edition)
Gewissen beruhigte. Nun lief sie in der großen Stadt umher und staunte alles an. Der Dom, der Bischofssitz und die zahllosen Kirchen waren beeindruckende Bauwerke, und um sie herum hatten sich die wohlhabenden Bürger mit ihren aus Ziegeln oder schönem Fachwerk erbauten Häusern und geschmückten Fassaden niedergelassen. In einem solchen Haus hätte Agnes auch gern einmal gewohnt.
Auf der anderen Seite war alles ziemlich verwirrend für sie. Wenn sie hier leben wollte, wo sollte sie beginnen? In einer Schenke arbeiten so wie daheim bei ihrer Mutter? Da wäre sie schon am ersten Tag nicht mit heiler Haut davongekommen. Ein Handwerk beherrschte sie nicht und überhaupt übten das, wie sie feststellte, nur Männer aus. Frauen verdienten sich ihr Brot nicht durch Arbeit, sie lebten mit ihren Familien, führten den Haushalt und erzogen Kinder. Nur sehr wenige Frauen übten einen Beruf aus, sie waren Hebammen, Badestubenmägde, Wäscherinnen oder verrichteten noch niedrigere Arbeiten. Und bei allem, was sie taten, waren sie dabei Männern untergeordnet und somit ausgeliefert. Das hatte Agnes schnell erkannt. Deshalb kamen diese Arbeiten nicht für sie infrage.
Ich bin hübsch und ich bin nicht auf den Kopf gefallen,
dachte sie.
Da wird es doch eine bessere Lösung für mich geben. Eine gescheite Arbeit und einen Mann mit ehrlichen Absichten aus gutem Hause, der mich versorgt und beschützt.
Am Rheinufer reihte sich Marktstand an Marktstand. Was wurde hier alles verkauft! Dinge des täglichen Bedarfs natürlich, aber auch Schmuck, bunt gefärbte Tücher, Schleifen, Broschen und elegante Schnabelschuhe. Es gab die Brotverkäufer, bei denen es immer gut roch, und Gemüsehändler, die frisches Obst aus der Umgebung anboten. Weniger gut roch es bei den Fisch- und Fleischhändlern, dort war der Boden rutschig von Blut und Fischabfällen. Agnes lief rasch vorüber zu den Buden am Ende des Marktes, wo alte Frauen vor sich ein paar armselige Kräuter auf dem Boden ausgebreitet hatten und hohlwangige Kinder vor verschrumpelten Äpfeln saßen. Agnes hätte jetzt gern so einen Apfel gehabt. Aber die Kinder hatten ihre flinken Augen überall. Wenn der Mann von der Marktaufsicht sich am anderen Ende der Straße zeigte, rafften die Kräuterweiblein und die Kinder rasch ihre Waren in ein Tuch und taten, als wärmten sie sich in der Sonne. Agnes wunderte sich darüber, aber sie fragte nicht, weil die Menschen in der Stadt nicht sehr freundlich waren. Jedem Fremden begegneten sie mit Misstrauen und glaubten, jedermann wolle sie übervorteilen.
Am anderen Ende hatte ein hagerer Mann einige Waren ausgebreitet, deren Nutzen Agnes nicht ersichtlich war. Er schien wertlosen Trödel feilzubieten. Dennoch blieben etliche Leute bei ihm stehen, woraufhin der Alte sehr gesprächig wurde und eifrig mit den Händen gestikulierte. Und die Leute kauften das Zeug, das er ihnen aufschwatzte, tatsächlich. Auch den Marktaufseher schien er nicht zu fürchten. Er grüßte ihn devot, und dieser nickte ihm kaum merklich zu.
Nachdem der Alte einer Kundin eine Kette aus Holzperlen ans Herz gelegt hatte, die gegen Heiserkeit helfen sollte, fiel sein Blick auf Agnes, eine junge Frau, die unentschlossen schien. Er winkte sie heran. »Nur herbei, Jungfer, und keine Scheu gezeigt. Ich habe alles, wonach Euer Herz verlangt.«
Agnes trat näher und ließ ihre Blicke verächtlich über die ihrer Meinung nach nutzlosen Dinge gleiten. Der Alte ließ sie eine Weile gewähren. Als sich Agnes schulterzuckend zum Gehen wandte, säuselte er: »Ich sehe schon, Ihr seid wählerisch. Einen besonders wirksamen Liebeszauber vielleicht?«
»Ich hoffe, den habe ich nicht nötig.«
»Natürlich nicht«, versicherte der Alte sofort und griff nach einem Döschen, in dem sich ein rötlich-braunes Pulver befand. »Aber vielleicht könnte Euch das hier von Nutzen sein. Das hat schon Kaiser Barbarossa seiner Gemahlin gegeben, als er zu seinen Kreuzzügen aufbrach. Ein unfehlbares Mittel gegen Untreue. Tut Eurem Schatz jeweils eine Prise davon in seinen Abendwein, und er wird keine andere anschauen.«
Agnes nahm das Döschen und roch sorgfältig daran. Dann lachte sie hell auf. »Das will ich Euch wohl glauben. Das ist gemahlener Leinsamen vermischt mit getrockneten Hagebutten, beides abführend. Ein wenig Goldrute ist auch dabei und gewöhnlicher Schachtelhalm, beides als harntreibende Mittel bekannt. Wer von diesem Pulver nimmt, der dürfte die halbe Nacht auf dem Abtritt
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