Schatten über Sanssouci
erwähnte Bericht.
Quantz stand hier
noch nicht vor Gericht. Weyhe sicherte sich vorher ab. Er holte sich nicht vom
König die Erlaubnis, den Fall vor Gericht zu bringen, sondern er bat die Justiz
selbst darum, alle notwendigen Maßnahmen zu entscheiden.
»Um den Fall noch
einmal genau darzulegen«, begann Weyhe, »lassen Sie mich bitte alle Fakten
referieren.«
Quantz hätte sich am
liebsten die Ohren zugehalten. Doch er musste anhören, wie der Rat ihn als
Drahtzieher einer großen Verschwörung hinstellte, der mit Hilfe des Lakaien Andreas
Freiberger und des Fuhrmanns Lukas Brede nicht nur Desertionen ermöglicht,
sondern systematisch Spionage betrieben hatte.
»Die ersten
Verdachtsmomente kamen uns, als in Andreas Freibergers Quartier im Schloss
Noten Seiner Majestät gefunden wurden, die dort nichts zu suchen hatten.
Offenbar hat Herr Quantz sich doch nicht so ganz auf die Raffinesse des Lakaien
verlassen können. Kein Wunder – er war ja auch ein Idiot.« Er sah Quantz
spöttisch an. »Ich meine natürlich Freiberger.«
Verhaltenes
Gelächter erfüllte den Raum.
»Deswegen«, fuhr der
Rat fort, »haben er und Brede sich Freibergers entledigt – und das auf eine
Weise, die Aufsehen erregen und damit von dem eigentlichen Verdacht, dem
eigentlichen Fall ablenken sollte. Ich habe die Ereignisse in Bornstedt im
Bericht genau dargelegt. Brede hat auch hierbei mitgeholfen.«
»Was ist aus dem
Fuhrmann geworden? Ist er auch in Haft?«, fragte einer der Männer.
Weyhe schüttelte den
Kopf. »Leider ist mir dieser Verbrecher entwischt.«
»Er ist geflohen?«
»In die Ewigkeit
entwischt, meine ich. Wir haben ihn ertappt, als wir den Keller unter seinem
Haus fanden. Er versuchte, einen hohen Beamten Seiner Majestät anzugreifen, und
wurde im Gegenzug sofort getötet.«
»Welchen Beamten?«
»Mich«, erklärte
Weyhe mit einer gewissen Feierlichkeit in der Stimme. »Auch das finden Sie in
dem Bericht. Weiter hinten, denn es ist erst gestern geschehen.« Er räusperte
sich. »Eine besondere Rolle spielt allerdings ein Kammerherr Seiner Majestät,
Monsieur La Mettrie, der in ganz Europa bekannt ist als Verfasser höchst
umstrittener Schriften. Herr Quantz hatte zu ihm engen Kontakt. Die beiden sind
zusammen geflohen. Es ist sogar erwiesen, dass Monsieur La Mettrie Herrn Quantz
aus dessen erster Inhaftierung befreit hat. Damit missbrauchte er seine
Kammerherrenwürde.«
Nun kam ein
mehrstimmiges Geräusper vom Tisch. Die Herren blickten sich betroffen an.
Quantz konnte förmlich sehen, was in ihren Köpfen vor sich ging. Einen
Kammerherrn anklagen … Formal war das möglich, doch ging das nicht zu
weit? Schließlich würde das bedeuten, dass man dem König selbst misstraute, der
in seiner Gnade und Weisheit ja La Mettrie zum Kammerherrn berufen hatte.
Der Gedanke traf
Quantz wie ein Schock. Nie und nimmer würde man La Mettrie bestrafen. Quantz
würde ganz allein seine Kerkerhaft absitzen oder hingerichtet werden. Das Blut
pochte in seinen Ohren. Der Rat redete weiter, doch Quantz hörte nicht mehr zu.
Es fiel ihm schwer, sich auf den Beinen zu halten, und er kämpfte gegen die
Ohnmacht, die ihn niederzudrücken drohte.
Weyhe sprach und
sprach. Dann war es irgendwann still im Raum, alle sahen Quantz an, auf dessen
Stirn kalter Schweiß stand.
»… haben Sie
etwas gefragt. Herr gewesener Musikus … Ob Sie noch etwas zu sagen haben!«
Quantz schüttelte
den Kopf. »Nein«, brachte er mühsam hervor.
Die Herren griffen
nach ihren Papieren und nickten einander zu. Stühle rutschten lärmend über den
Steinfußboden. Die Soldaten in der dämmrigen Ecke auf der anderen Seite des
Saales nahmen Haltung an, als sich der Festungskommandant erhob und einen
Schritt nach vorn machte. Ein Blick aus zwei blauen Augen traf Quantz, in dem
sich schlagartig alles verkrampfte. Der Offizier, den er für den Kommandanten
gehalten hatte, war …
»Eure Majestät«,
rief Quantz und verbeugte sich. Weyhe erstarrte, senkte dann aber ebenfalls
rasch das Haupt. Er schien ebenso überrascht zu sein wie Quantz.
Ganz offensichtlich
war der König inkognito hier – auch das war eine berühmte Angewohnheit von ihm.
Immer wieder besuchte er ohne Vorankündigung die verschiedenen Organe der
Staatsverwaltung. Kein Beamter sollte sich zu sicher fühlen. Stets konnte im
nächsten Moment der König vor ihm stehen. Und Friedrich war sehr geübt darin,
seine Anwesenheit so lange zu verbergen, wie er wollte. Nur die Herren vom
Gericht waren
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