Schatten über Sanssouci
Gegenwart Sie sich
zu benehmen haben.«
»Herr Rat, haben Sie
nicht gehört, was der Maître de Musique gesagt hat?«, rief La Mettrie. »Ihr
ganzes Verdachtsgebäude stürzt in sich zusammen. Andreas Freiberger lebt, und
deswegen …«
Aus dem Gang hinter
den Eisengittern näherte sich ein Mann. Das Licht der Fackeln schienen sein
schwarzer Bart und seine ebenso dunkle Perücke zu schlucken. Dafür glänzten
seine goldenen Rockknöpfe und die silbernen Tressen. Der Stoff leuchtete rosa.
Für einen Moment hielt Quantz ihn für einen Offizier, doch die Farben passten
zu keiner Uniform. Jedenfalls zu keiner preußischen.
Als er den Kerker
betrat, verbeugte sich Weyhe ehrerbietig. »Darf ich vorstellen«, sagte er, als
er wieder Haltung angenommen hatte. »Graf Bernes.«
»Der Gesandte der
Kaiserin in Preußen?«, entfuhr es La Mettrie.
»Sozusagen die ganze
Macht der Kaiserin von Österreich hier in diesem kleinen Land«, ließ der Graf
mit einer volltönenden Bassstimme vernehmen. Er sprach mit dem weichen Akzent,
der typisch für die Wiener war. Quantz hatte den Grafen mehrmals im Publikum
der Oper gesehen und sogar gelegentlich mit ihm geplaudert. Er war ihm stets
sympathisch erschienen. Ihm wurde klar, dass sie sich nicht in einer Festung
Seiner Majestät des Königs befanden, sondern in der Berliner Residenz des
Botschafters. Eines Botschafters, mit dem Weyhe auf sehr vertrautem Fuß zu
stehen schien.
»Ich wollte mir die
Männer gern einmal ansehen, die so vehement versucht haben, meine Pläne zu
durchkreuzen«, sagte der Graf. »Und die doch gleichzeitig mehr und mehr für
deren Begünstigung gesorgt haben.«
»Wie eine Fliege im
Netz der Spinne mit jeder Bewegung ihre Lage verschlimmert«, fügte Weyhe hinzu,
»sich immer mehr in die klebrigen Fäden verwickelnd …«
Graf Bernes nickte
anerkennend. »Ich wusste nicht, dass Sie eine poetische Ader haben, mein lieber
Weyhe«, sagte er. »Aber Ihre Talente sind ja mannigfaltig. Davon konnte ich
mich in letzter Zeit überzeugen.«
»Sie sind also der
Verräter«, rief Quantz.
Weyhe wollte etwas
sagen, aber Graf Bernes hieß ihn mit einer Handbewegung zu schweigen. »Verräter
… Das ist nur ein Wort, Herr Kammermusiker. Was wissen Sie denn, welche
Maschinerie des Verrats Ihr König in Bewegung hält, um seine Ziele zu
erreichen. Sie können der Kaiserin nicht ernsthaft einen Vorwurf machen.«
»Wollen Sie uns
töten?«, fragte La Mettrie. »Sicher wollen Sie das. Sonst würden Sie uns nicht
noch Ihr Spiel ganz und gar durchschauen lassen. Ich frage mich jedoch, warum
Sie uns nicht bereits auf den Wiesen an der Havel getötet haben. Wieso bringen
Sie uns hierher? Um uns zu zeigen, dass sich dieser gemeine Wicht von einem Rat
auf Ihre Seite geschlagen hat?«
Weyhe schwieg. Er
beschränkte sich darauf, finster dreinzublicken und die Lippen
zusammenzupressen.
»Geschlagen hat?«
Der Graf lächelte. »Rat Weyhe stand schon immer auf unserer Seite. Und mit
einem Plan, der eines Genies würdig ist, hat er dafür gesorgt, dass er nun auch
in der Gunst Ihres Königs steigen wird. Er wird zu einem seiner engsten
Vertrauten werden und über jeden Verdacht des Verrates erhaben sein.
Schließlich hat er selbst einen raffinierten Verrat aufgedeckt, in den – so
wird es der König sehen – zwei Männer verwickelt waren, denen er bisher
glaubte, blind vertrauen zu können.«
»Einen Verrat, den
Sie zuvor inszeniert haben«, sagte Quantz, »um ihn selbst aufzudecken?«
»Das seltsame Talent
dieses ansonsten minderbemittelten Lakaien kam uns zupass«, sagte der Graf.
»Und darüber hinaus die günstige Lage des Hauses meines Medicus an der
Heiliggeistkirche in Potsdam. Wir verhalfen Grenadieren aus dem Leibregiment
zur Flucht. Wir haben den Verdacht erweckt, jemand wolle des Königs
Chiffrensystem auskundschaften oder ihm sogar ein neues schaffen – mit Hilfe
der scheinbar so unschuldigen Kunst der Musik.«
»Was nun jedoch
unmöglich ist, da der König es von uns erfahren wird«, rief Quantz.
»Der König wird
nichts erfahren.« Der Graf drehte sich zu Weyhe, der plötzlich etwas Kurzes,
Spitzes in der Hand hielt. Es war ein Stilett. Ein kleiner Dolch, mit dem Meuchelmörder
schnell und unauffällig töteten.
Quantz hatte solche
Waffen in Venedig gesehen, wo nächtliche Morde in den Gassen der Lagunenstadt
an der Tagesordnung waren. »Nein«, rief er. »Tun Sie das nicht. Ich verspreche
Ihnen, ich werde Seiner Majestät nichts sagen. Ich werde schweigen.
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