Schatten über Sanssouci
Ich werde …«
Weyhe, den Dolch in
der Hand, schritt weiter in den Kerker hinein. Bei Andreas, der immer noch am
Boden saß, blieb er stehen. Mit einer schnellen Bewegung, die eine immense
Kraft bewies, zog er den Lakaien hoch und rammte ihm gleichzeitig die Klinge in
den Leib. Andreas’ Körper bäumte sich noch einmal kurz auf, und ein
schmatzender Laut entfuhr ihm. Weyhe ließ ihn zu Boden rutschen und kehrte zu
Bernes zurück, als wäre nichts gewesen.
»Sie werden
natürlich nicht getötet, meine Herren«, sagte der Graf. »Jedenfalls nicht von
uns. Rat Weyhe wird Sie in Haft nehmen und als Verräter der Strafe zuführen,
die der König über Sie verhängt.«
»Der König ist
gerecht«, rief Quantz. »Wir sind unschuldig. Er wird keinen Unschuldigen
strafen.«
»Ja, ja, ich weiß«,
sagte der Gesandte. »Seine Majestät gibt sich gern den Anstrich eines
Herrschers, der sich nicht in Gerichtsdinge einmischt. Aber er unterschreibt
dann doch alle Urteile, nachdem er sie geprüft hat. Und er handelt wie ein
absoluter Fürst rein nach dem Anschein, den der Sachverhalt für ihn besitzt.
Und in Ihrem Fall ist dieser Anschein sehr einfach, fast militärisch leicht zu
verstehen: Sie sind die Verräter. Sie haben mit Brede gemeinsame Sache gemacht,
als es darum ging, Grenadieren zur Desertion zu verhelfen. Sie selbst wurden
schließlich aufgegriffen, als sie sich desselben Fluchtweges bedienten, um die
Stadt zu verlassen. Andreas Freiberger war ein Spion, den Brede und der Herr
Kammermusiker gemeinsam ermordeten, als seine Spionagetätigkeit ans Licht zu
kommen drohte. Freiberger hat darüber hinaus ein neues Chiffrensystem ersonnen,
das man Seiner Majestät dem König unterschieben wollte. Dieser Plan der
Kaiserin ist gescheitert, da Sie in Ihrer Verteidigung die
Verschlüsselungstechniken erklären werden. Aber dieser Verlust wird hundertfach
aufgewogen. Denn die Summe aus allem ist, dass Rat Weyhe in Diensten des Königs
von Preußen nun einmal die gesamte Intrige aufgedeckt hat – und nun zu einer
der wichtigsten Personen unter dem königlichen Großkanzler und Justizminister
Cocceji aufsteigen wird. In dieser Position wird er uns mit vielen nützlichen
Details aus dem Umfeld des Königs versorgen. Und das mindestens bis Schlesien
wieder unser ist. Lang lebe die Kaiserin!«
»Lang lebe die Kaiserin!«,
rief Weyhe ebenfalls, und seine Augen glänzten.
Quantz blickte auf
das blutige Bündel. Andreas’ Leiche. Grauen erfasste ihn. Welche Talente hatten
in dem Jungen geschlummert … Was hätte aus dem Jungen noch werden können?
»Sie haben nun eine
Wahl, lieber Herr Quantz«, sagte der Graf. »Sie können der preußischen
Gerichtsbarkeit entgehen. Ich biete Ihnen die Möglichkeit, Ihr Talent der
Kaiserin zu Füßen zu legen und Hofmusiker in Wien zu werden. Ihnen aber,
Monsieur«, jetzt sah er La Mettrie an, »kann ich leider gar nichts bieten.
Einem Ketzer, einem Seelenleugner und Kirchenbekämpfer wie Ihnen können wir
nicht erlauben, im katholischen Reich der Kaiserin zu leben.«
»Dann werde ich auch
verzichten«, sagte Quantz mit fester Stimme und wegen Andreas’ Schicksal Tränen
den Augen. »Ich verdanke dem Monsieur zu viel, als dass ich auf Ihr schäbiges
Angebot eingehen würde. Und da ich kein Verräter bin, sehe ich auch keinen Grund,
nun zu einem zu werden.«
»Die zweite
Begründung akzeptiere ich«, sagte der Graf. »Die erste verwundert mich eher.
Was haben Sie einem so gottlosen Menschen, der sich hier in Brandenburg
verkriecht und sein Fähnlein nach dem Winde dreht, schon zu verdanken?« Er
lächelte. »Aber wie Sie wünschen. Sie sind nun, was mich betrifft, frei. Doch
wenn Sie dieses Haus verlassen, wird dieser preußische Rat«, er zwinkerte Weyhe
zu, »seiner Pflicht genügen, Sie in Haft nehmen und der Gerichtsbarkeit Ihres
Landes entgegenführen. Leben Sie wohl.«
Vor der Residenz des
habsburgischen Botschafters wartete schon die Patrouille. Der Rat spielte sein
Spiel perfekt. Er informierte den Offizier in aller Form, dass er die gesuchten
Herren Quantz und La Mettrie festgesetzt hätte – und zwar kurz bevor sie die
Residenz des feindlichen Gesandten betreten hätten. Dort hatten sie offenbar
Zuflucht gesucht, nachdem man ihre Machenschaften in Potsdam durchschaut hatte.
Der Morgen
graute bereits, als sie Spandau erreichten. Diesmal hatte man Quantz und La
Mettrie in eine einzige Kutsche gesperrt. Die Männer schwiegen. Selbst dem
Franzosen waren offenbar die Worte
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