Schattenblume
die Küche und eine riesige Wohnstube nach hinten raus. Bevor er an eine Tür klopfen konnte, kam ihm Jessie schon aus der Küche entgegen. Sie hielt ein Glas in der Hand, und an der Farbe des Getränks und dem Klirren der Eiswürfel erriet Jeffrey, dass sie Scotch trank.
Reggie kam zu demselben Ergebnis. Demonstrativ sah er auf die Uhr. «Kurz nach Mittag.»
Jeffrey wollte Jessie in Schutz nehmen, doch dann ließ er es bleiben.
«Hey, Jungs», sagte Jessie. Für eine Alkoholikerin hatte sie sich gut im Griff. Nie lallte oder torkelte sie. Doch hinter Jessies makelloser Haut und ihrer perfekten Figur verbarg sich eine verbitterte Frau, die alles schwarz sah, und der Alkohol förderte diese Gehässigkeit zutage.
Jeffrey fragte: «Ist Robert da?»
«Wo soll er sonst sein?», sagte Jessie und öffnete die Fliegentür. Sie trat einen Schritt zur Seite, doch sie stand immer noch im Weg, sodass ihre Körper sich streiften, als Jeffrey eintrat. Reggie wurde diese Behandlung nicht vergönnt. «Ihr könnt im Salon warten. Ich hole Robert.»
Jeffrey sah ihr nach. Jessie stakste auf verboten hohen Stöckelschuhen davon. Dass sie auf diesen Dingern mit ihrem Promillepegel gehen konnte, widersprach allen Gesetzen der Physik.
Reggie räusperte sich. Natürlich hatte er Jeffreys Blick missverstanden. Schulmeisterlich verschränkte er die Arme vor der Brust. «Sie ist die Frau deines besten Freundes.»
Jeffrey ignorierte ihn und betrat den Salon. Auch hier hatte sich nichts verändert. Zwei lange Sofas, mit weinrotund weiß gestreifter Seide bezogen, standen einander gegenüber, dazwischen ein schwindsüchtiger Couchtisch. Rechts und links des großen Fensters zur Straße waren zwei Ohrensessel arrangiert. Auf der anderen Seite befand sich ein mächtiger Kamin, in dem man einen Menschen hätte rösten können. Die Möbel wirkten so zierlich, als würden sie bei einem Niesen umfallen, doch Jeffrey ließ sich nicht täuschen. Er ließ sich in eins der Sofas fallen, während Reggie an der Tür stehen blieb, immer noch mit dem gleichen abfälligen Blick.
Jeffrey starrte den weißen Teppich an, der aussah, als würde er mehrmals am Tag gesaugt. Er sah die Fußabdrücke, die er auf dem Weg zum Sofa hinterlassen hatte, und überlegte, ob der Geruch, der in der Luft hing, vom toten Fisch an Hoss’ Stiefeln oder von dem Duftpotpourri auf dem Couchtisch kam. Dann dachte er wieder an Sara. Er fragte sich, was sie in diesem Moment tat. Er wäre jetzt gerne bei ihr gewesen. Jeffrey wollte nicht, dass sie ihn für einen Verbrecher hielt. Wenn es in seiner Macht gestanden hätte, er hätte mit den Fingern geschnippt, und sie wären plötzlich woanders, irgendwo, Hauptsache, weit weg von hier.
Reggie fragte: «Hattest du etwa auch was mit der Mutter?»
«Was?» Jeffrey merkte erst jetzt, dass sein Blick nach draußen geschweift war, wo Faith Clemmons ihre Azaleen wässerte. «Mein Gott, Reggie. Hör endlich auf damit, ja?»
Reggie verschränkte die Arme vor der Brust. «Oder was?»
Von der Treppe waren Schritte zu hören, die langsam näher kamen. Roberts Eintreten nahm Jeffrey den Wind aus den Segeln. Wenn er heute Morgen schon mitgenommenausgesehen hatte, wirkte er jetzt, als wäre er unter einen Laster gekommen. Er ließ die Schultern hängen und hielt sich die Wunde am Bauch.
Jeffrey stand auf, doch er wusste nicht, was er sagen sollte. «Setz dich doch», sagte er schließlich.
«Ich stehe ganz gern», gab Robert zurück. «Reggie, würdest du uns bitte kurz allein lassen?»
«Kein Problem», sagte Reggie wachsam. Er tippte sich an die Mütze, dann ging er hinaus.
Robert wartete, bis das Fliegengitter ins Schloss fiel, dann sagte er: «Ihr habt ihre Leiche in der Höhle gefunden.»
Roberts Bestimmtheit überraschte Jeffrey. Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Sie hatten ihre Leiche gefunden.
«Hoss hat mich angerufen», erklärte Robert und ließ sich vorsichtig in einen Sessel sinken. «Er meint, es wäre irgendein Penner oder so was – soll hingefallen sein und sich den Schädel aufgeschlagen haben. Aber wir wissen beide, dass es Julia Kendall ist.»
Trotz Klimaanlage brach Jeffrey der Schweiß aus. Er suchte in der Hosentasche nach der Kette mit dem herzförmigen Medaillon. «Das habe ich unter dem Felsvorsprung gefunden.»
Robert nahm Jeffrey die Kette aus der Hand. Mit dem Daumennagel öffnete er das Medaillon und sah sich die Fotos an. «Himmel. Julia.»
Jeffrey sah aus dem Fenster. Faith hatte das
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