SchattenGrab
Die Intimsphäre der eigenen vier Wände war zerstört worden und die der dort wohnenden Personen ebenfalls. Sie hatten ganze drei Wochen wie auf dem Präsentierteller gelebt.
Jetzt hatten sich die Beamten der unterschiedlichsten Abteilungen, Kriminaltechnische Untersuchung, Spurensicherung und die Ermittlungsbeamten in den Hintergrund zurückgezogen.
Einerseits gut, denn sie konnte mit ihrer Verzweiflung endlich allein sein, andererseits hatte es auch eine gewisse Ablenkung bedeutet. Das eine war zu viel gewesen, das andere war zu wenig. Justus war ihr keine große Stütze. Vollkommen hilflos in dieser unabwägbaren Situation, hatte er sich in seine Arbeit gestürzt. Der Einzige, an dessen starken Arm sie sich anlehnen konnte, war der ihres Schwiegervaters, Professor Dr. Friedhelm Görlitz.
Wolf
In seinem Herzen war Wolf beruhigt, als Nienburg ihm am Telefon Unterstützung für den Bereich Rinteln und Bückeburg zusagte. Auf seinen Zusatz, es könne auch gerne eine Kollegin sein, glaubte er am anderen Ende der Leitung eine Art Glucksen gehört zu haben.
„Wegen der weiblichen Intuition bei der Recherche und der Befragungen“, betonte Wolf, der den Eindruck vermeiden wollte, er sei auf der Suche nach einer Frau.
„Schon klar“, antwortete sein Gesprächspartner.
„Sie schicken uns also eine Beamtin?“, fragte Wolf.
„So etwas ähnliches.“
Wolf, der sich veralbert vorkam, kochte vor Wut. Weil er aber froh war, überhaupt jemanden zugeteiltzu bekommen, schluckte er den Ärger hinunter und versuchte stattdessen einen Scherz.
„Eine Kollegin auf vier Beinen habe ich schon. Sie heißt Lady Gaga.“
Es gluckste wieder, als ob ein Kichern unterdrückt werden sollte.
„Wir stellen Ihnen jemanden mit sehr viel weiblicher Intuition zur Verfügung. Auf zwei Beinen, versteht sich!“
„Wunderbar!“, rief Wolf in den Hörer, der die Nase voll hatte von diesem blöden Gespräch. „Und grüßen Sie Ihren Vorgesetzten. Er wird sicher bald wieder bei mir zu Gast sein.“ Das war zwar eine Lüge, Wolf hoffte aber trotzdem, dass er diesem Idioten einen kleinen Schreck eingejagt hatte. Jetzt wollte er eben noch Peter informieren. Der war bestimmt längst im Büro inRinteln. Doch Wolf irrte sich. Das Telefon stellte sich um auf die Zentrale. Nein, POK Kruse sei noch nicht im Haus, erklärte man ihm. Er möge ihn doch auf dem Handy anrufen.
Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen, dachte Hetzer bei sich und überlegte, ob er es heute nur mit Kopfkranken zu tun hatte. Er wählte erneut und erwischte Peter kauend im Auto.
„K’use“, schmatzte er in den Hörer, „sorry, ich hab’ n Mumd pfoll.“
„Hör ich“, grummelte Hetzer ins Telefon. „Du brauchst auch nur zuzuhören. Ich will eh gleich losfahren.“
„Fön“, sagte Peter und schluckte endlich. Die Bulette war weg. Er hätte sie doch nicht auf einmal in den Mund stecken sollen.
„Es hat geklappt. Ich habe dir ab morgen Unterstützung aus Nienburg besorgt. Wer es ist, weiß ich nicht. Lass dich überraschen. Ihr trefft euch um acht Uhr in Bückeburg“, sagte Wolf und atmete einmal tief durch.
„Alles klar, na dann schöne Urlaubstage!“
„Denkst du an die Kater?“
„Aber sicher doch! Nadja wird das bestimmt machen wollen.“
„Okay, danke, wir hören uns zwischendurch“, sagte Wolf und legte auf.
Die Görlitzens
Familie Görlitz senior lebte direkt im Haus neben Verena und Justus. Das war ein Segen, wenn man an den männlichen Teil des Ehepaars dachte, und ein Fluch, wenn einem Marianne ins Gedächtnis kam. Sie war in jeder Hinsicht unberechenbar, euphorisch und stark extrovertiert. Wie ein Relikt aus der Hippiezeit zog sie noch immer schrecklich bunte Kleider an und hatte langes Haar, das inzwischen grau geworden war. Trotz des fortgeschrittenen Alters trug sie es offen, was etwas wunderlich und etwas „verhuscht“ wirkte. DasÄußere zeichnete ein gutes Bild und war zugleich Spiegel ihrer Seele. Nach und nach hatte sie die alte Villa in der Gretchenstraße zu ihrem Refugium gemacht. Fast in jedem Raum dominierten ihre Bilder, die wie eine grelle Zurschaustellung ihrer Albträume auf die Betrachter wirkten. Professor Dr. Friedhelm Görlitz war gutmütig und hatte sich an all das gewöhnt. Sogar daran, dass der Wintergarten zum Atelier und der Garten zu einem Naturbiotop geworden war. Er war froh, wenn Marianne glücklich war. Jahrzehntelang hatte er ihr nicht die Aufmerksamkeit geben können, die sie vielleicht gebraucht hätte.
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