Kammerdiener gesucht
I
»So ein Blödsinn, verstaubter alter Kram! In unserem Zeitalter so eine Annonce aufzugeben - dazu gehört schon eine gehörige Portion Weltfremdheit.« Gähnend und unlustig warf Kuno die Tageszeitung weg und rappelte sich aus einem wackeligen Sessel auf. Ihn trieb keine Hast, ihn hetzte keine Berufstätigkeit, ihn jagte keine Kontrolluhr zu irgendeinem Termin. Der große und breit gebaute Kuno wurde von nichts gehetzt - leider! Er hatte mehr Zeit, als er sich wünschte, und das war einfach zum Verrücktwerden!
Er stand da und setzte gerade zum dritten Gähnen an, als er aus dem Nebenstübchen die Stimme seiner Schwester hörte: »Was bringt dich denn so auf die Palme, zorniger junger Mann?«
»Eine saublöde Zeitungsannonce.«
»Lies sie nicht, wenn sie dich ärgert.«
»Kluges Mädchen. Was aber soll ich sonst tun, da niemand auf der Welt nach meinen erfreulich kräftigen Muskeln brüllt, um sie tätig werden zu lassen?«
»Nicht die Hoffnung verlieren, Kuno. Du bist ungeduldig, es wird sich genau wie für mich auch für dich bald irgendeine Beschäftigung finden.«
»Und indessen soll ich deine wenigen Zwanzigmarkscheine mit auffuttern? Nein, zum Donnerwetter, ich hab' es satt und pfeife auf eine standesgemäße Beschäftigung. Ich will endlich meine Zigaretten selbst verdienen.«
»Heizöl und eine prächtig gefüllte Gasflasche wären eigentlich zur Zeit wichtiger. Willst du es nicht doch morgen noch mal auf der Agentur versuchen? Es muß sich doch für dich ein Job finden, sprachgewandt wie du bist, gebildet und gut erzogen.«
»Lieb Gertraudehen, dies wären kaum Vorteile zu nennen -und wer kümmert sich dann um Castor und Pollux, wenn ich prächtig engagiert in irgendeinem feudalen Nachtclub als >Jrüßaujust< durch die nur mit Kerzenlicht erleuchteten Räume schleiche und die Halbwelt lächelnd begrüße?«
»Nachts wäre ich ja hier, und am Tage können Castor und Pollux doch genau wie andere Dackelhunde es so lange aushalten, bis ich sie ausführe, finde ich.«
»Höh - habt ihr das gehört? Frauchen will euch kaltherzig in diesem Palast stundenlang allein lassen.« Kuno beugte sich zu einer Allwettercouch nieder, auf welcher zwei schwarze Dackel zu Kugeln gerollt lagen und hellwach dem Rededuell zuhörten. Sie ahnten, daß es sich um sie handelte, und setzten die Mienen von armen verlassenen Waisenkindern auf. Wer sollte das Herz haben, sie, die sämtliche Dackelstammbäume in sich vereinten, allein zu lassen? »Gibt es ja gar nicht, daß wir euch vergelten lassen, was herzlose Menschen uns zumuteten. Gertraude, es ist zum -«
»Benimm dich! Mutter sagte stets, daß Haltung das Wichtigste im Leben ist. Also, Haltung, Baron Kuno - oder ich müßte Sie verachten.« Jetzt war in der Tür eine schlanke Frau erschienen, nicht mehr ganz jung, so Ende Zwanzig, sehr einfach gekleidet, das hellbraune Haar schlicht frisiert. Gertraude von Gleichen hatte schöne kluge Augen, ein feines Gesicht und sehr ausdrucksvolle Hände, die sie eben dem Bruder entgegenhielt. »Na, alter Brummkopf, nun versuch doch, das Unabwendbare mit mehr Gleichmut zu tragen! Wir werden es schon schaffen und uns durch dieses komische Leben schlagen. Nur gesund müssen wir bleiben, sonst könnte es zu einer Tragödie werden.«
Kuno hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt, rieb seine Nase an der zarten Wange der Schwester und knurrte halblaut: »Na, ja, wenn's doch wahr ist, Mädel - ist doch ein untragbarer Zustand für mich ausgewachsenen Mann, keine Arbeit zu haben, kein Geld zu verdienen. In Torhaus Gleichen wußte ich vor Arbeit nicht, wo mir der Kopf stand, und hier lümmele ich mich herum und lese solche blöden Annoncen, nur damit die Zeit vergeht. Hör dir das an, das klingt doch wie die Anpreisung zu einem Frauenroman, der bei >feinen Leuten< spielt: Kammerdiener gesucht!« Zornig knitterte er die Zeitung zusammen und warf sie auf den Boden.
Nur um Ordnung zu schaffen, hob Gertraude das Blatt auf und wollte es zusammenfalten, als ihr Blick auf die beanstandete große Annonce fiel. »Du, schau dir das noch einmal an, Kuno!«
»Den Quatsch soll ich noch mal lesen?«
»Bitte -«, Gertraude deutete ein wenig nervös auf die Annonce. »Lies, was noch weiter hier steht.«
Beide beugten sich nun über das Blatt, und Kuno las laut vor: »Kammerdiener gesucht, vertraut mit allen entsprechenden Arbeiten. Schriftlich oder persönlich zu melden bei Professor Joachim Bergemann, Torhaus Gleichen bei A. Rufnummer 5 63 45.
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