SchattenHaut
brauchte sie eine Kerze. Immer, wenn sie eine Reihe gemauert hatte, weichte sie die Verbindungsstellen mit der Kerzenflamme auf und ließ sie wieder gefrieren, was reichlich Zeit in Anspruch nahm. Aber das machte nichts, weil sie zwischendurch zur Jagd ging. Jochen und Michael waren auch vorbeigekommen. Sie spielten nur mit ihr. Mit den anderen Mädchen wollten sie nichts zu tun haben, das waren Memmen. Keine Indianer oder Eskimos, die hier in der Kälte zusammen ausharrten. Susi war froh, dass ihre Freunde gekommen waren. Gemeinsam jagen machte mehr Spaß. Außerdem konnten sie nachher das Iglu einweihen. Susi hatte gehört, dass es in Iglus nie kälter als 0 °C wurden. Das wollte sie nachmessen.
Mittlerweile war oben in der Kuppel nur noch ein kleines Loch zu sehen. Den letzten Stein sollte Jochen von oben anreichen und Michael sollte ihn von innen so lange halten, bis Susi ihn mit ihrer Kerze befestigt hatte. Stolz saßen die drei anschließend um die Kerze im Iglu und mampften die Eisschokolade, die sie erlegt hatten. Draußen waren lausige 15 °C minus und ein eiskalter Wind, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Den Eingang hatten sie gegen die Windrichtung gebaut. Es stimmte, hier drin war es entschieden wärmer. Susi holte das Thermometer aus ihrer Jackentasche. In Bodennähe war es noch 5 °C minus, aber unter der Kuppel um 0 °C.
Als sich Michael gegen fünf Uhr nachmittags verabschiedete, versprach er, am nächsten Tag wiederzukommen. Jochen blieb noch. Die beiden überlegten, ob sie morgen mit dem Hundeschlitten fahren oder am Eisloch fischen gehen sollten. Dann rief Susis Mutter zum Abendbrot.
„Schade“, sagte Susi. „Immer, wenn es am schönsten ist, muss man aufhören.“
„Genau“, antwortete Jochen und sah sie an, „immer, wenn es am Allerschönsten ist. Und noch bevor sie richtig begriff, was geschehen war, war er fort. Doch sie fühlte ihn noch. Seinen Kuss auf ihren Lippen.
Wasserwürmer
Das Handy klingelte. Nadja meldete sich und lauschte. Nichts! Sie wollte schon wieder auflegen, als eine leise, heisere Stimme zu ihr sprach. Das, was sie sagte, musste wohl ein Scherz sein. Trotzdem war sie neugierig. Und es war ja nicht weit. Sicherheitshalber nahm sie Beppo mit, der musste sowieso noch ausgeführt werden.
Das Gelände hinunter zum Wasser war unwegsam. Die Sonne lag dämmernd auf dem Wasser und schenkte ein warmes Licht. Es war still hier. Nicht einmal Grillen gab es jetzt noch. Nadja kämpfte sich durchs Gestrüpp. Hier war seit Jahren alles verwildert. Was hatte der Anrufer gesagt? Sie würde hier etwas Interessantes finden. Etwas aus ihrem Fachgebiet. Doch da war nichts, rein gar nichts. Hatte man sie verarscht? War derjenige hier irgendwo und beobachtete sie? Lachte sich kaputt, weil sie auf ihn reingefallen war? Nein, hier war niemand. Beppo hätte sonst Theater gemacht. Gut, dachte Nadja, dass ich noch nicht die Polizei angerufen habe. Erleichtert lehnte sie sich an einen Stamm, band den Hund daran fest und blickte auf den Teich. Sie hatte keinen Bock auf Stress. Es war herrlich hier, nur ein bisschen kalt heute. Vielleicht sollte sie im Sommer öfter herkommen.
Nadja ging zum Ufer und sah ins Wasser, das ihr ein Bild toter Augen zurückwarf. Sie gehörten zu einem Kopf, der ihr leicht zunickte und an dessen Hals mehrere Adern wie Regenwürmer in der Strömung zuckten.
Nadja taumelte zurück, sie musste sich irgendwo festhalten. Damit hatte sie jetzt nicht mehr gerechnet. Der Weißdorn bohrte sich an verschiedenen Stellen in ihre Hand und mit dem Schmerz kam ein leises Gefühl von Angst. Wer immer das getan hatte, konnte noch hier sein. Sie hielt sich im Dickicht. Da sah sie sie.
Der arterielle Druck hatte ausgereicht, um das Blut aus der Halsschlagader kurzfristig mehrere Meter weit in die Landschaft zu spritzen, bevor der Strom schwächer geworden und im Gras versickert war. Nadja stand wie gebannt vor dem Körper, dessen Arme mit Plastikschlaufen um den Holzklotz einer kaputten Bank gebunden waren, als ob sie beteten oder flehten. Die Tote kniete immer noch.
Der Kopf war nicht mit einem Hieb abgetrennt worden. Zweimal war das Werkzeug zu weit in Richtung Rücken eingedrungen. Auch das, was vom Hals übrig geblieben war, schien ausgefranst.
Hatte der Mörder sie zu diesem Ort gerufen? Doch woher kannte er sie, wusste von ihrem beruflichen Fachgebiet? Konnte man durch irgendetwas Rückschlüsse gezogen haben auf ihre Identität? Möglicherweise nach dem
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