Schattenherz
Kurier bringen würde.
Der Bote ritt rasch heran und zügelte sein Pferd nicht, bis Gaborn die Hand hob und ihn anrief. Jetzt erst erkannte er seinen König, denn der trug lediglich einen grauen Reisemantel, der voller Staub war.
»Euer Hoheit«, grüßte der Reiter.
Er griff in einen Lederbeutel an seiner Hüfte und bot ihm eine kleine Rolle dar, deren roter Wachsverschluß das Siegel von Paldanes Ring zierte.
Gaborn öffnete die Rolle. Während er las, sank ihm der Mut, und er keuchte.
»Raj Ahten ist südlich nach Mystarria marschiert«, berichtete er Binnesman. »Dort hat er die Burgen Gorane, Aravelle und Tal Rimmon eingenommen. Das ist zwei Tage her.
Paldane schreibt, seine Männer und einige Unabhängige Ritter hätten Raj Ahten dafür bluten lassen. Ihre
Armbrustschützen haben die Soldaten des Wolflords in einen Hinterhalt gelockt. Von dem Dorf Eberkopf bis zum
Gowergrat kann man auf Leichen spazieren.«
Gaborn wagte es nicht, weitere der schrecklichen
Neuigkeiten preiszugeben. Paldanes Bericht war bis in die Einzelheiten genau und beschrieb die exakten Zahlen der feindlichen Verluste – 36.909 Männer, von denen die große Mehrheit gemeine Soldaten aus Fleeds waren. Er hatte ebenfalls die Zahl der verbrauchten Pfeile (702.000), die gefallenen (1274) und verwundeten (4951) Verteidiger sowie die getöteten Pferde (3207) hinzugefügt und auch die erbeuteten Rüstungen, Goldbestände und Pferde aufgelistet.
Daraufhin beschrieb er ausführlich die Bewegungen des Feindes und die gegenwärtigen Stellungen seiner eigenen Männer. Raj Ahtens Soldaten marschierten von den Burgen Crayden, Fells und Tal Dur auf Carris zu. Paldane schickte Verstärkungen nach Carris, da er überzeugt war, daß der Wolflord diese mächtige Festung eher erobern denn nur einfach zerstören wollte.
Gaborn las die Nachrichten und schüttelte bestürzt den Kopf. Raj Ahten war mit äußerster Brutalität vorgegangen.
Paldane hatte Gleiches mit Gleichem vergolten. Die
Neuigkeiten erfüllten Gaborn mit Abscheu.
Paldanes letzte Worte lauteten: »Offensichtlich hofft der Wolflord von Indhopal, Euch in diesen Konflikt mit
hineinzuziehen. Er hat Eure Nordgrenze arg dezimiert, damit Ihr keine Truppen nach Süden führen könnt, die irgend etwas ausrichten würden. So bitte ich Euch, bleibt in Heredon. Soll der Jäger diesen Hund zur Strecke bringen.«
Gaborn rollte den Brief auf und schob ihn in die Tasche.
Das ist verrückt, dachte er. Da sitze ich tausend Meilen in der Ferne und erfahre erst nach Tagen, daß mein Volk dahingemetzelt wird.
Raj Ahten konnte er kaum aufhalten. Aber die Neuigkeiten vermochte er rascher zu bekommen…
Er betrachtete den Boten, einen jungen Kerl mit lockigem braunem Haar und klaren blauen Augen. Bei Hofe hatte Gaborn ihn zu verschiedenen Gelegenheiten getroffen. Er sah dem jungen Mann in die Augen und gebrauchte seinen Erdblick, um ihm ins Herz zu schauen. Der Kurier war stolz, sowohl auf seine Stellung als auch auf seine Reitkünste. Er war wagemutig und fast begierig darauf, sein Leben für den Dienst an seinem Herrn aufs Spiel zu setzen. Ein Dutzend Mädel in Gasthäusern quer durch Mystarria glaubten, sie würden ihn lieben, denn er ließ sich nicht lumpen und küßte dazu wunderbar. Allerdings war er zwischen zwei bestimmten Frauen mit sehr unterschiedlichem Charakter hin-und hergerissen.
Auf Gaborn machte der junge Kerl keinen ausgesprochen guten Eindruck, trotzdem fand er keinen Grund, aus dem er ihn hätte nicht Erwählen sollen. Gaborn brauchte Diener wie ihn – Boten, auf die erzählen konnte. Er hob die Linke, starrte ihm in die Augen und flüsterte: »Ich Erwähle dich für die Erde. Ruhe dich jetzt aus, aber breche noch heute nach Carris auf. Gegenwärtig habe ich einen Erwählten Boten dort. Falls ich Gefahr für euch beide spüre, weiß ich, daß Raj Ahten einen Angriff auf die Stadt plant. Solltest du je meine Stimme in deinem Kopf hören, die dich warnt, so beachte sie.«
»Ich wage nicht zu rasten, Hoheit«, entgegnete der Bote,
»solange Carris bedroht wird.«
Zu Gaborns Zufriedenheit riß der junge Mann sein Pferd nach Süden herum. Momente später war er verschwunden, und nur der Staub, der noch in der Luft hing, erinnerte überhaupt an seine Gegenwart in Heredon.
Mit schwerem Herzen dachte Gaborn nach. Er würde seine Lords in Heredon von diesen beunruhigenden Neuigkeiten in Kenntnis setzen müssen.
Während sie in der Morgendämmerung dahinzogen,
verspürte Gaborn
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